Das verlorene Observatorium
keine Ahnung, Sir.
Das war's für heute. Jetzt geh. Ich brauche meinen Schlaf.
Sieben Uhr wie gewohnt.
Sieben Uhr, Sir.
Vielleicht werde ich nie ein Buch schreiben. Was meinst du, Francis? Vielleicht werde ich es nie schaffen.
Sir?
Aber woher sollst du so etwas wissen, du bist ja noch ein Junge. Ich war auch einmal ein Junge.
Darf ich jetzt gehen, Sir?
Vater konfiszierte meine Spielsachen, ließ mich Tag und Nacht lernen. Eines Tages hob er mich hoch und klopfte mir auf den Kopf, Was steckt da drin, Ronnie? Ist da überhaupt irgendwas drin?
Sieben Uhr, Sir.
Aber er hörte nicht zu. Ich ließ Peter Bugg auf dem knochigen Schoß des anderen Peter Bugg zurück, seinem mythischen Vater. In dieser Nacht setzte sich Peter Bugg an seinen Schreibtisch, beobachtet von den Eulenaugen der unzähligen Bücher, die ihn mit stechendem Blick fixierten und keinerlei Mitleid mit ihm empfanden. Er schrieb eine Seite, warf sie fort, schrieb eine andere, warf sie fort. Und so begannen seine Qualen. Um sieben am folgenden Morgen erschien er nicht im Klassenzimmer. Ich fand ihn in seinem Zimmer. Er war am Schreibtisch eingeschlafen, um seine Füße schwebten kleine Wolken verstoßener Seiten. Ich nahm die große Tintenflasche und versteckte sie im Kinderzimmer.
Einige Stunden später:
Junge, hast du meine Tinte genommen?
Ja, Sir, das habe ich.
Bringe sie unverzüglich zurück.
Nein, Sir, das kann ich nicht, ich habe sie umgekippt. NEIN!
Ich denke, es wäre besser, Sir, wenn Sie Ihren Haaren erlauben würden, ihre richtige Farbe anzunehmen, damit Sie pünktlich zum Unterricht erscheinen.
Der dunkle Ton kehrte in Buggs Gesicht zurück.
Du glaubst nicht, dass ich es schaffe, oder ist es vielmehr so, dass du versuchst, mich daran zu hindern? Ja, das ist es, nicht wahr? Aber ich lasse mich nicht aufhalten. Du wirst schon sehen, ich werde schreiben. Oh, und was für ein Buch! Du wirst schon sehen. Du wirst schon sehen.
Und so kehrte er in sein Zimmer zurück. Vier Stunden später stieg Bugg mit all seinen Koffern voller Bücher in ein Taxi. Er schüttelte mir zum Abschied nicht die Hand, wie er es versprochen hatte. Sein Abschiedsgruß lautete:
Hast du Chiron?
Er schloss die Wagentür und verließ Tearsham Park, verließ das Dorf Tearsham und fuhr in die Stadt seiner Zukunft.
Nach einer Weile hörte er auf, sein Haar zu färben, und rasierte sich den Schädel. Ich erinnere mich noch gut an den Schock, als ich den glatzköpfigen Bugg zum ersten Mal sah, wie ein uraltes Baby kam er mir vor. Er kehrte zu uns zurück, als er keinen anderen Ort mehr hatte. Aber er war ein anderer Bugg geworden, ein gebrochener und nervöser Bugg, ein Bugg, der jede Autorität verloren hatte. Wir brachten ihn in einer der leeren Wohnungen des Observatoriums unter. Er mußte seine frühere Wohnung verlassen, nachdem er Jahre damit verbracht hatte, das Buch nicht zu schreiben, das zu schreiben er sich geschworen hatte. Du wirst schon sehen. Du wirst schon sehen. Aber am Ende gab es nichts zu sehen. Oder doch, Sir?
Erinnerungsdruck
In den darauffolgenden Tagen nahm der Erinnerungsdruck zu. Peter Bugg besuchte mich gelegentlich, gleichwohl weniger häufig und diese Besuche endeten ausnahmslos mit der Frage nach einem gewissen verlorenen Lineal. Er erzählte mir, daß Zwanzig sich an die Telefonnummer ihrer Wohnung in dem fremden Land erinnert habe. Sie hatte dort angerufen, a?er der Wohnungsinhaber hatte gewechselt, es war nicht mehr ihr Ehemann. Claire Higg hatte sich erinnert, dass sie etwa zu der Zeit, als sie das letzte Mal Alec Magnitts Photo gesehen hatte, vermehrt Besuch von Francis Orme erhalten habe und nun fragte sie sich, ob ich mich wohl an den Verbleib ihres innig geliebten Bildes erinnern könne.
Doch schon bald beendete Peter Bugg seine abendlichen Besuche. Abends, nach meiner Arbeit auf dem Sockel, war ich nun wieder allein, hatte nur Mutter und Vater zur Gesellschaft, was ziemlich das gleiche ist wie völlige Einsamkeit. Ich hatte das Gefühl, in diesen oben aufkommenden Erinnerungsströmen zu ersticken, und als dann mein freier Tag kam, beschloß ich, anstatt den Tag im Park oder in Wohnung 6 herumzusitzen oder die lange Reihe meiner Exponate im Tunnel auf und ab zu gehen, daß ich einmal raus mußte, einen anderen, nicht so übermäßig vertrauten Teil der Stadt besuchen mußte. Ebenfalls erinnerte ich mich frustriert daran, daß meine Fingernägel inzwischen wieder viel zu lang geworden waren. Wenn ich sie mir nicht bald
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