Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
alle umbringen werdet.«
Rasnar antwortete nicht, konnte den grauenhaften Akzent des Ungläubigen ohnehin kaum verstehen.
»Ich möchte, dass Ihr mein Leben verschont, wenn ich Euch im Gegenzug behilflich bin.«
Rasnar nickte langsam.
»Und auch Gold, Silber und Frauen?«, fragte er.
Hinsens Augen leuchteten auf, obwohl er seine übrigen Motive nicht hatte verraten wollen.
Rasnar lachte leise.
»Ich kann jemanden wie Euch gebrauchen, und ich werde Euch reichlich belohnen«, versprach der Prälat und goss für jeden von ihnen eine neue Tasse Tee ein.
»Ich belohne meine Freunde stets nach ihrem Verdienst«, fuhr er fort, und ein Lächeln spielte um seine Lippen.
Andrew blickte kurz vom Schreibtisch auf und justierte den Docht der einsamen Lampe, die seine Hütte beleuchtete. Es wurde kalt, und er stand auf, öffnete den Eisenkamin und warf einen weiteren Holzscheit hinein. Der Winter hatte vor über anderthalb Monaten eingesetzt, dann aber eine Pause eingelegt, die fast den Eindruck erweckte, der Indianersommer meldete sich zurück. So war das Wetter geblieben, bis tief hängende Wolken und kalter Regen an diesem Nachmittag über sie hereinbrachen.
Vergangene Woche war Tobias endlich von seiner Erkundungsfahrt zurückgekehrt, und das Lager summte von Geschichten, während die Seeleute herumstolzierten und prahlten, was sie gesehen hatten.
Das Meer war tatsächlich ein Binnenmeer, wie Andrew vermutet hatte, und das Land der Rus lag an der Nordküste. Nur an wenigen Stellen war das Gewässer mehr als hundertsechzig Kilometer breit, aber es dehnte sich fast achthundert Kilometer weit nach Süden aus, beiderseits gesäumt von weiten, offenen Steppen. Kaum eine Menschenseele hatte man erblickt, bis man sich der Südküste näherte.
»Karthager«, murmelte Andrew vor sich hin, als er direkt von Tobias hörte, was sich zugetragen hatte. Die Architektur und die Schiffe klangen in Tobias’ Schilderung ganz nach Karthago und dessen spanischen Kolonien. Leider war keine Kontaktaufnahme mit der Stadt dieser Menschen möglich gewesen, denn schon beim Anblick der Ogunquit schwärmte ihnen eine Armada von Schiffen entgegen, bewehrt mit Rammspornen. Ohne Kanonen an Bord ergriff Tobias lieber die Flucht nach Osten, verfolgt von den Karthagern bis zu der Stelle, wo sich das Meer anscheinend im Bogen mit einem weiteren Gewässer verband. Schließlich wandte sich der Kapitän wieder nach Norden und folgte dabei der östlichen Küste dessen, was er inzwischen das Amerikanische Meer nannte. Zu aller Verblüffung entdeckte man eine Art Süßwasserwal. Boote wurden zu Wasser gelassen und die Jagd eröffnet.
Andrew hob erneut den Blick zur Lampe. Walöl spendete gutes Licht, aber irgendwie bekümmerte es ihn. Zunächst war der Gestank von der primitiven Transchmelzerei unten am Dock grauenhaft gewesen. Zum Zweiten empfand Andrew ein seltsames Mitgefühl mit dem unschuldigen Tier, das Tobias’ Seeleute mit solcher Freude abgeschlachtet hatten. Irgendwie wünschte er sich, er hätte ihnen befehlen können, die Jagd einzustellen, aber ihm war klar, dass das Öl gebraucht wurde und er seine persönlichen Gefühle somit nicht ins Spiel bringen durfte.
Er stand auf, streckte sich und ging zur Tür. Der Regen hatte nachgelassen, und der zweite Mond, Cysta, leuchtete zuzeiten matt durch die vorbeiziehenden Wolken.
Die Arbeit lief viel besser, als er erwartet hatte. Zu seiner Verblüffung schien Ferguson genau im Plan zu liegen. Kals Arbeitsmannschaften leisteten inzwischen fast so gute Arbeit, wie er sie aus den Staaten kannte. Zu Hunderten hatten sie die Schienentrasse geebnet und Tonnen von zermahlenem Kalkstein als Schotter hinaufgeschleppt. Der Fährdienst der H-Kompanie lief von Sonnenaufgang bis -Untergang auf Hochtouren und beförderte den Kalkstein, sowohl den Schotternachschub als auch den für die Gießerei, und zu Beginn der nächsten Woche sollte ein zweites Schiff in Dienst gestellt werden.
Der erste automatische Schmiedehammer war endlich in Betrieb, angetrieben von einem hastig hergestellten, unterschlächtigen Wasserrad in einem Seitenkanal, oberhalb des Hauptrades der Schmelzhütte. Es reichte nur knapp aus, würde aber bis zum Frühling seinen Zweck erfüllen, wenn die beiden derzeit in der Planungsphase befindlichen Sechs-Meter-Räder montiert waren. Trotz der geringen Kraftentfaltung wurden die ersten für die Schienen benötigten Eisenbänder inzwischen fertig, und die Strecke reichte bereits vom Anlegeplatz bis
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