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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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viele Lemminge ich zertrampelt habe.“
    Siv gab Svenkas Bericht so anschaulich wieder, als hätte sie alles selbst erlebt. Sie beschrieb mir die Bärin. „Svenka war wirklich eine Riesin. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie den Mond mit einem Tatzenhieb vom Himmel gefegt hätte.“ Dann erzählte sie mit Svenkas Worten weiter.
    „Mit einem Mal verdrängte giftig gelbes Licht den silbernen Mondschein. Die Flugwesen zeichneten sich jetzt deutlich am Himmel ab. Sie hatten schwarzes, struppiges Gefieder. Wir Eisbären haben naturgemäß wenig Erfahrung mit Hägsdämonen. Wir können nicht fliegen und die Dämonen können nicht schwimmen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie kämpfen. Es gelang mir zwar, ein paar aus der Luft zu holen, aber das gelbe Licht lähmte mich immer mehr. Schließlich brach ich zusammen und begrub dutzendweise Lemminge unter mir. Die anderen Lemminge änderten nicht etwa ihre Richtung, sondern trippelten über mich hinweg. Ich lag hilflos auf dem Rücken und musste alles mitansehen.“
    Siv hatte vor sich gesehen, wie Svenka auf dem Boden lag und die kleinen Nager über ihren mächtigen Leib hinweghuschten wie über einen Erdhügel. „Ich weiß, wie einen dieses gelbe Licht benebelt“, sagte sie. „Ich habe keine Ahnung, wie es mir damals gelungen ist, mich aus meiner Betäubung loszureißen.“
    Ich hätte es ihr sagen können. Ihr Ga’ hatte ihr geholfen.
    Svenka setzte ihren Bericht wie folgt fort: „Für mich war fast das Schlimmste daran, dass ich nichts für Myrrthe tun konnte. Ich konnte nur zusehen, wie sie …“ Der Bärin versagte die Stimme.
    „… wie sie in Stücke gerissen wurde“, führte Siv den Satz zu Ende.
    Svenka schaute sie an. „Dann weißt du ja Bescheid.“
    „Nur allzu gut. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Dämonen meinen Gatten in der Schlacht von H’rathmagyrr zugerichtet haben.“ Siv machte eine kurze Pause. „Haben sie Myrrthe etwa auch den Kopf abgeschlagen?“
    „Ja“, bestätigte Svenka leise.
    Als die Dämonen davongeflogen waren und das gelbe Licht erloschen war, war Svenka aus ihrer Benommenheit erwacht. Die Bärin hatte den Schauplatz des Überfalls nach Myrrthes sterblichen Überresten abgesucht. Sie fand aber nur noch einen verstümmelten Fuß und einen Flügel. Beides begrub sie. Eine schneeweiße Feder behielt sie übrig, um sie Siv zu bringen.
    Svenka beschloss ihre Erzählung mit dumpfem Knurren. „Und die Lemminge liefen einfach weiter, liefen und liefen, ohne Sinn und Verstand.“
    Siv und ich schwiegen lange. Schließlich sagte Siv: „Wir konnten natürlich keine vorschriftsmäßige Abschiedsfeier für Myrrthe abhalten.“
    „Das hört sich an, als hättet ihr euch auf andere Art von ihr verabschiedet?“
    „Ich habe den Gedanken nicht ertragen, dass wir gar nichts machen.“
    „Was habt ihr denn gemacht?“
    „Ich konnte ja immer noch nicht fliegen. Darum bin ich auf Svenkas Kopf geklettert und habe sie gebeten aufzustehen. Weil sie so unfassbar groß ist, war es beinahe wie Fliegen. Ich habe mich hoch aufgerichtet, die Feder in den Fuß genommen und zu Myrrthes Ehren ein Gedicht aufgesagt. Dann habe ich die Feder dem Wind übergeben. Ein katabatischer Wind, wie Myrrthe ihn so liebte, hat die Feder davongetragen.“
    „Würdest du das Gedicht für mich noch einmal aufsagen?“
    „Ich versuch’s.“ Siv holte tief Luft.
    Ich sehe sie im Wind,
Bei jedem Flügelschlag,
Im Wachen und im Schlaf,
Bei Nacht und bei Tag.
Ihr Gefieder, es strahlte
So weiß wie der Schnee
Auf dem Gipfel des H’rathgar
In eisiger Höh,
Wie der Mond so hell,
Im vollen Schein,
Und doch soll das alles
Verloren nun sein!
Ach, liebste Myrrthe,
So treu und gut,
Der Magen so tapfer,
Das Herz so voll Mut.
Und doch soll das alles
Verloren nun sein,
Myrrthe ist tot,
Und ich bin allein.

Während Siv an einem fernen Fjord um Myrrthe trauerte, hatte ich mit meinem neuen Gehilfen alle Zehen voll zu tun. Ich stellte bald fest, dass der junge Uhu überaus intelligent war. Leider war er auch überaus dickköpfig. Manchmal hätte ich ihn an den nächstbesten Felsen klatschen können! Andererseits hatte ich noch nie jemanden erlebt, der so schnell lernte wie Theo. Wenn er mir bei der Arbeit zuschaute, schien er mit jeder Faser seines Körpers in sich aufzunehmen, was ich tat. Er verwandelte sich sozusagen in einen Magen mit Augen und Ohren.
    Ich passte gut auf, dass er nicht in die Nähe der Schneddenfyrr-Höhle mit dem Ei kam, und zog mich immer mal

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