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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
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Seit dieser Zeit ist sie anders und seit dieser Zeit hat sie die Gabe des Sehens.
    Sie ist mit den Stimmen der Götter verbunden und kann in allen Dingen etwas sehen. Sie kann selten einfach nur dasitzen und uns zusehen, so wie wir sind und uns sehen, wie wir sind. Weil sie immer gleich andere Bilder sieht, die parallel erscheinen. Doch beim Tanz, da haben wir sie schon öfters erlebt, wie sie lacht und auch ihre Hüften fröhlich wippen lässt und sich dabei an ihrem Stock festhält. Du kannst dir vorstellen, welch eine Freude im Dorf ist, wenn sie das tut. Sie lacht dann wie ein kleines Mädchen. Das Lachen, das sie als kleines Mädchen in der Schlucht gelassen hat, kommt dann für kurze Zeit hervor und verschwindet allerdings danach leider wieder. Nimm sie so, wie sie ist. Das tun wir auch, wie wir jeden so nehmen, wie er geschaffen ist.
    Heute wird ein besonderer Tag. Pu’kon und ihr zukünftiger Mann müssten von den Bergen wiederkommen. Dann gibt es ein fröhliches Willkommensfest. Vielleicht erleben wir ‘Alana wieder, wie sie ausgelassen tanzt und völlig vergisst, dass sie schon sehr alt ist und in allem etwas sieht.
    Lass dir die Sorgen von dem Wind davontragen, sie mag dich auch sehr gern, dessen bin ich ganz sicher. Sie hat dich gesehen, damals, sie hat gesehen, dass du kommst. Wir haben es nur nicht so verstanden am Anfang. Du weißt, wenn sie redet ist es manchmal schwer zu verstehen, was sie meint und was die Götter damit sagen wollen.“
    „Wieso nicht verstanden?“, fragt Alēi’na neugierig. Das kennt sie noch nicht.
    „Nun, sie stand eines Tages am Meer, wie so oft, mit den Füßen im Wasser und berührte mit ihrem Stock die Wasseroberfläche. Dann drehte sie sich plötzlich um und rief: ‚Feuer wird kommen übers Meer. Feuer wird zu uns kommen ins Dorf, noch ehe die Sonne drei Mal untergegangen ist.’“
    „Jetzt verstehe ich die Verbindung mit dem Feuer. Deswegen nennt ihr mich Alēi’na -Feuerfischfrau. Ich wunderte mich zwar immer ein bisschen, warum ihr meine roten Haare mit Feuer in Verbindung gebracht habt. Wie einen Fisch hab ihr mich doch aus dem Meer gezogen, durch und durch nass und kalt. Hattet ihr eigentlich nicht alle Angst vor mir, als ihr mich gesehen habt? Feuer ist doch eine Bedrohung! Auch meine Haut ist heller als eure. Ihr hättet mich ganz leicht töten können, einfach zurückwerfen können, für die Haie, für den Gott der Haie“, sagt Alēi’na leise, als hätte sie Angst, ihre Worte könnten gehört und wahr werden.
    „Nein, ein Mädchen, das uns das Meer geschenkt hat, würden wir niemals töten! Wenn jemand von sich aus stirbt, das ist etwas anderes. Wenn der erstgeborene Junge eine Totgeburt ist, dann schenken wir seinen Körper dem Gott der Haie, damit sie freundlich zu unseren Fischern sind, wenn sie auf dem Meer sind. Keinen Menschen töten wir. Die Götter schenken Leben und sie allein bestimmen das Ende! Nicht der Mensch. Die Götter haben dich zu uns getragen. Wenn sie das nicht gewollt hätten, hätten sie ein leichtes Spiel mit dir gehabt, dich einfach allein auf dem Meer zu lassen und dich zu sich zu holen. Oder dich den Haien zu überlassen.
    Auch Feuer ist für uns keine Bedrohung, sondern ein Geschenk der Götter. Es gibt uns Wärme an kühlen Abenden, Wärme in der Nacht in den Bergen. Die Sonne wärmt uns am Tag und hilft den Pflanzen zu wachsen. Und wenn wir dem Feuer gegenüber wohlgesinnt bleiben und es ehren, dann wird uns Pele , die Göttin des Feuers, auch verschonen, wenn sie den Berg zum Sprechen bringt. Die alte ‘Alana stand, als wir dich alle aus dem Meer an Land trugen, oben am Strand am schiefen Baum, rief und deutete mit ihrem krummen Stock auf dich: ‚Seht, da ist das Feuer! Es kommt als Fischfrau!’ Dann lachte sie laut und ging. Da war nichts Bedrohliches in dir oder durch dich, nicht einmal für sie.“
    Uhala’an lacht auch bei der Erinnerung.
    „Aber was habt ihr getan, zuerst, als sie das Feuer vom Meer ankündigte und ihr noch nicht wusstet, dass es ein harmloses fast totes Mädchen war, deren Haare es nur waren, die euch an das Feuer erinnerten? Warum seid ihr nicht alle weggegangen und habt euch in Sicherheit gebracht? Warum sind die Fischer aufs Meer wie jeden Tag?“ Alēi’na ist zwar schon ein Jahr hier, doch kann sie die Bräuche und das Verhalten der Dorfbewohner oftmals noch nicht ganz verstehen.
    „Das einzige, das wir anders taten, war, dass wir uns noch mehr am Wasser aufgehalten haben. Und zwar an der

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