Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
die Tiefe. Mit jedem Atemzug wurde die Terrasse undeutlicher. Schnell verloren sich zuerst die Elfen, dann auch die winkenden Ratten in der Dunkelheit.
Sie ließen Arcatrox hinter sich. Ein letzter Blick auf die scharfen schwarzen Konturen der Burg spulte in Josies Erinnerung alle dort durchgestandenen Schrecken ab. Sie hatten Glück gehabt, verdammtes Glück! Aber sie wusste auch: Die Herausforderung, die nun auf sie wartete, würde all ihre bisherigen Abenteuer in den Schatten stellen. Eine dunkle Wolke lähmender Angst blähte sich in ihrem Kopf und verdrängte jeden klaren Gedanken. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Wie eine leuchtende, blau geschuppte Natter schlängelte sich die Flussprozession voran. Einzelheiten konnten sie nicht ausmachen, da Wolf rasch an Höhe zulegte. Aber ihnen war klar, dass es alles andere als leicht sein würde, an Amy heranzukommen.
»Haltet euch gut fest, wir müssen noch weiter steigen«, teilte Wolf ihnen mit. »Wir können nicht riskieren, dass sie uns entdecken.«
Dann durchstießen sie eine Wolkenschicht und der sternenlose Himmel Dorchadons hüllte sie in seinen aschgrauen Mantel.
Arthur wurde unruhig. »Wie sollen wir uns jetzt bloß orientieren?«
»Seht!«, sagte Wolf. »Der helle Streifen. Genau, wie der Ratterich gesagt hat.«
Josie reckte den Hals. »Was ist das?«
»Nun, da Narranda hinter dem Nordgebirge liegt, vermutlich ein Abglanz von Solarias Schein. Wenn wir uns in diese Richtung halten, kommen wir unweigerlich zu Riamh Mhuir, das die beiden Reiche trennt.«
Das diffuse Band von warmem Licht, das weit entfernt vor ihnen am Horizont schimmerte, verbannte Josies schwarze Ahnungen. Für einen Augenblick fühlte sie sich in die Unendliche Geschichte versetzt. Sie ließ sich von Wolf durch die Lüfte tragen, wie Atréju von Fuchur. Und auch in ihrem Herzen meldete sich der Glücksdrache zurück. Wir werden es schaffen!, dachte sie. Wir werden es schaffen, weil wir alle daran glauben!
Der Flug zog sich hin. Josie fror, sie war dankbar, Arthurs warmen Körper hinter sich zu spüren. Wenigstens hielt die hässliche Lederuniform den schlimmsten Zug ab. Sie zog den Kragen hoch und die Mütze weit über die Ohren.
Allmählich näherten sie sich den dunklen Umrissen eines Gebirges. »Ich werde jetzt in den Sinkflug gehen, damit wir sehen, wo wir sind«, sagte Wolf. »Festhalten!«
Mit dieser knappen Vorwarnung schoss Wolf nach unten. Josies Hände krallten sich in sein Fell. Ihr Magen fuhr Achterbahn. Ihre Ohren verschlossen sich.
»Bloody hell!«, zischte Arthur und umfasste Josies Taille fest mit beiden Armen.
Als sie die Wolkendecke durchbrochen hatten, fanden sie sich über einem Tal wieder. Hier hatte sich der Schwarze Fluss ein hartes Bett in die schroffen Felsen geschnitten. So weit man schauen konnte, nacktes, kaltes Gestein.
Josie blickte sich besorgt um. »Von der Prozession ist nichts zu sehen.«
»Sie sind noch nicht so weit«, gab Arthur zurück. »Wir haben sie wahrscheinlich längst überholt.«
»So wird es wohl sein«, bestätigte Wolf. »Dann lasst uns schon mal bis zur Höhle fliegen, um die Lage zu sichten.«
Zunächst verengte sich das Tal zu einem lang gezogenen Schlund. Mangels Licht kam Wolf den scharfkantigen Felsen einige Male bedenklich nahe. Josie biss sich auf die Unterlippe. Verdammt, es konnte doch nicht sein, dass sie jetzt abstürzten! So kurz vorm Ziel. Das dufte einfach nicht passieren!
»Keine Angst!«, beruhigte sie Wolf. »Außerdem sind wir ohnehin gleich da. Hört doch!«
Josie und Arthur spitzen die Ohren.
»Wasserrauschen«, sagte Arthur. »Wie eine Brandung.«
»Die Mündung?« Josie hob die Sonnenbrille an, die ihr gegen den Fahrtwind gute Dienste tat, und kniff die Augen zusammen.
Vor ihnen öffnete sich die Klamm zu einer Mündung und der Fluss erbrach seine schwarze Flut in ein weites dunkles Gewässer.
»Das Niemalsmeer«, stöhnte Josie, »wir haben es gefunden.«
»Riamh Mhuir«, hörte sie Wolfs warme Stimme und etwas darin klang so sehnsuchtsvoll, dass sich ihr Herz zusammenzog.
Arthur blickte angespannt um sich. »Und wo ist die Drachenhöhle?«
Seine Frage beantwortete sich von selbst, kaum dass er sie gestellt hatte. Unweit der Mündung klaffte, in einem vom Meer umspülten Felsen, eine gewaltige Höhle, aus deren Tiefe ein konturloses blaues Licht schwelte.
Alles war ruhig, gespenstisch ruhig. Nichts deutete auf das große Ereignis hin, das unmittelbar bevorstand. Von einem Drachen keine
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