Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
die Trauer um Wolf von der Seele.
Sie war gerade fertig, als O’Reardon zu ihr kam und eine Schublade öffnete. »Da ist sie ja wieder!« Erleichtert zog er eine ziemlich zerkratzte Lupe heraus. »Hatte sie einer von euch ausgeliehen? Ich hab sie gestern nicht finden können.«
Josie starrte ihm entgeistert nach, als er sich wieder ins Sofa sinken ließ, um mit dem Vergrößerungsglas die Einzelheiten auf den Fotos besser zu erkennen. Zweifelsohne. Es war definitiv dieselbe Lupe, die ihnen die Bandraoi gegeben hatte. Wie war das möglich?
Aber noch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, klopfte es und Maude, die trotz ihres freien Tages gekommen war, trat ein. Josie erkannte an ihren geröteten Augen, dass sie geweint haben musste. Wolf hatte ihr in der Küche oft Gesellschaft geleistet, auch für sie war sein Tod ein schmerzlicher Verlust.
»Dinnéir«, sagte die stämmige Haushälterin rau.
Der Professor hob seine Armbanduhr. »Arthur ist noch nicht da. Können wir mit dem Dinner noch warten?«
Maudes gegerbte Hände wischten über ihre Schürze, während sie etwas Irisches vor sich hin brummelte.
Der Professor stand seufzend auf. »Sie sagt, dann werden aus ihren Lammkoteletts Schuhsohlen. Na, dann kommt! Vielleicht ist Arthur ja noch im Krankenhaus. Schade, aber dann müssen wir wohl ohne ihn essen.«
Das Essen war köstlich, das Fleisch auf den Punkt gebraten und der frisch zubereitete Kartoffelbrei ein Genuss. Dennoch aßen sie ohne Appetit. Traurig schob Josie den Knochen ihres Koteletts an den Tellerrand, wie gern hätte sie ihn ihrem vierbeinigen Freund überlassen. Ob er jetzt wirklich bei seiner Nárbflaith war? Und als sie den Blick hob, schien ihr, als nickte ihr das Portrait Conall O’Reardons zu.
Nach dem Dinner entfachte der Professor in der Bibliothek ein behagliches Kaminfeuer und öffnete eine Flasche seines besten Rotweins. Josie entging dabei nicht, dass er eine vertrocknete Schafgarbenblüte vom Flaschenhals abstreifte.
Das Bild des liebenswerten Trunkenboldes mit dem schiefsitzenden Zylinder tauchte vor ihr auf. Mit dem Gedanken an MoDain erlaubte ihr der Trauerschleier, der ihr Herz verhüllte, einen dankbaren Rückblick auf die fantastischen Abenteuer, die sie am Rand der Träume erlebt hatte. Sie hatte wahrhaftig mehr Glück als Amy gehabt! Sie hatte Freunde in der Anderwelt gefunden. Rosalinde, MoDain und Elvinia – nicht zu vergessen die tapferen Ratten. Und sie hatte Narranda mit eigenen Augen sehen dürfen. Vor allem aber hatte sie gelernt, ihrem Glücksdrachen zu vertrauen und ihrem Herzen zu folgen.
Der alte Herr hob sein Glas. »Sláinte! Trinken wir! Auch wenn wir Wolf schmerzlich vermissen, sollten wir darüber nicht die Freude über unsere glückliche Begegnung vergessen. Trinken wir auf uns, auf Menschen, die sich ohne das Wirken der anderen Seite nie kennengelernt hätten.«
Momas Rotweinglas klirrte sanft, als sie mit ihm anstieß. »Ja«, sagte sie lächelnd. »Unser aller Leben hat sich grundlegend verändert. Es ist so viel reicher geworden! Neben einer wundervollen Schwester und Großnichte habe ich noch etwas gefunden, das mir immer verwehrt war …« Sie hielt verlegen inne.
Aaron O’Reardon nahm ihre Hand. »Das geht mir genauso, Dorothy.«
Amy und Josie warfen sich einen verstehenden Blick zu. Moma war die Erste unter ihnen, die ihr Liebesglück gefunden hatte. Josie dachte an die fatalen Schicksale ihre Ahninnen und eine tiefe Erleichterung erfüllte sie. Amy und sie waren nicht mehr dazu verdammt, diese unglückselige Tradition fortzusetzen. Und doch trugen sie das wundervolle Vermächtnis der Feen in sich, die Magie der Imagination, die sich eines Tages auch in ihren Töchtern entfalten würde.
Moma drückte die Hand des Professors. »Aaron wird uns nach den Ferien in Deutschland besuchen. Und Weihnachten wollen wir hier in Irland verbringen. Bestimmt kommt Thaddäus auch her.« Sie wandte sich an Edna und Amy, die Arm in Arm auf dem Sofa saßen und verträumt in die Flammen blickten. »Und ihr kommt natürlich auch. Die ganze Familie!« Ihre Augen strahlten.
Der Professor zwinkerte Josie zu. »Ich denke, dass sich noch jemand freut, wenn ihr alle wieder in Springwood Manor seid.« Er hob den Kopf und horchte. »Und wie mir scheint, kann er dem gleich selbst Ausdruck verleihen.«
Draußen war eine Tür gegangen und nur einen Moment später platzte Arthur ins Zimmer. Voller Elan setzte er sich neben Josie.
Sein Großonkel zwinkert ihm zu.
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