Das Vermächtnis der Feuerelfen
Blut der Erde all die Winter zurückgehalten hat, und du warst ein wenig zu übereifrig in deinem Bestreben, mich zu töten. Du hast deine Magie erschöpft. Du kannst den Zauber nicht erneuern. Das ist dein Ende, Nimeye. Du weißt es nur noch nicht.«
»Du weiß nicht, wovon du redest.« Nimeye war außer sich vor Wut. »Ich besitze Kräfte, von denen du nicht einmal zu träumen wagtest. Nicht ich bin es, die sterbend am Boden liegt, sondern du - und nun stirb!« Sie riss die Hände in die Höhe, und Caiwen spürte, dass sie zum Todesstoß ansetzte. »Vater!« Ihr Schrei ging im Poltern der Steine unter, als der hintere Höhlenteil einstürzte. Die letzten Worte ihres Vaters hingegen erreichten sie wie auf magische Weise.
»Lauf, Caiwen! Lauf!«
DAS VERSPRECHEN
L auf, Caiwen! Lauf!«
Caiwen reagierte, ohne zu zögern. Es war nicht allein die Dringlichkeit, die in den letzten Worten ihres Vaters mitschwang, die sie aufspringen ließ, es war mehr: ein Wispern in ihren Gedanken, das sie weitertrieb, um nach dem Blutkristall und der Wächterstatue zu suchen.
Wie von selbst fanden ihre Füße den Weg zurück in das Höhlenlabyrinth. Als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie ihren Vater leblos und mit unnatürlich verrenkten Gliedern am Boden liegen. Rauch stieg von seinem schwarzen Gewand auf und sein Körper erstrahlte in der gleißend weißen Aura des Todes.
Nimeye stand über ihn gebeugt. Das Gesicht zu einer grauenhaften Grimasse des Hasses verzerrt. Als könne sie Caiwens Blick auf sich spüren, flog ihr Kopf ruckartig herum. Ihr gellender Wutschrei zerriss die Stille, die über der Höhle lag, als sie erkannte, was Caiwen vorhatte. Caiwen sah, wie sie die Arme hob und zuckende Blitze aus den Fingerkuppen schossen …
Mit einem gewagten Satz brachte sich Caiwen in Sicherheit und hastete um eine Biegung, während die Blitze knisternd in die Höhlenwand einschlugen.
Lauf, Caiwen! Lauf!
Die Worte ihres Vaters hallten in ihren Gedanken nach und
vertrieben die Schuldgefühle darüber, ihm nicht zu Hilfe geeilt zu sein. Sie spürte, dass sie genau das tat, was er von ihr erwartete. Er hatte sich geopfert, um sie zu retten. Nun war es an ihr, diesem Opfer einen Sinn zu geben.
Ihr Kopf schmerzte, aber ihr Geist war klar, und sie erkannte, was Nimeye, die Mörderin ihrer Mutter, ihr angetan hatte. Vielleicht war es die rote Flüssigkeit gewesen, die sie zu einem willenlosen Werkzeug ihrer Großmutter hatte werden lassen. Vielleicht ein Zauber, geschickt in die süßlichen Worte von Liebe und Treue verwoben, oder ihre Unerfahrenheit - ganz gleich was die Ursache war, ihrem Vater war es gelungen, die Macht der dunklen Magierin über sie zu brechen. Er hatte sie wieder zu dem werden lassen, was sie vor dem Treffen mit Nimeye gewesen war: Eine Elfe, die entschlossen war, ihr Volk vor Unheil zu bewahren. Aber dazu musste sie den Blutkelch finden.
Keuchend blieb Caiwen stehen und schaute sich um. Vor ihr verzweigte sich der Tunnel in drei Richtungen. Welchen Weg sollte sie nehmen? Wie sollte sie in diesem Labyrinth den Kelch finden, ihr Blut hineinfließen lassen und dann auch noch nach der Schlangenkriegerin suchen, bevor...? Caiwen erlaubte es sich nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Sie machte sich nichts vor - die Aussichten, die ungeheure Aufgabe zu erfüllen, die das Schicksal ihr auferlegt hatte, und am Ende lebend aus dem Berg zu kommen, der von immer heftigeren Beben erschüttert wurde, waren mehr als gering.
Lauf, Caiwen!
Entschlossen machte sie einen Schritt auf den rechten Tunnel zu, als ein gewaltiger Donnerschlag das schwarze Gestein erschütterte und die Decke des mittleren und rechten Tunnels einstürzen ließ. Funken stoben und Trümmerstücke prasselten auf Caiwen herab, die sich blindlings in den linken Tunnel flüchtete, der noch nicht zerstört schien.
Als sich der Staub etwas legte, erkannte sie den Tunnel wieder.
Es war derselbe, durch den sie zuvor mit Nimeye gegangen war. Sie schöpfte Hoffung und lief weiter, war aber noch nicht weit gekommen, als die Wand vor ihr wie unter einem Fausthieb zersplitterte. Feurige Flammenzungen schossen aus dem Durchbruch und verwandelten den Tunnel binnen eines Wimpernschlags in einen Glutofen aus zuckendem Licht und fließenden Schatten. Eine unvorstellbare Hitze griff nach Caiwen. Schweiß perlte auf ihrer Haut und ihre Kehle war wie ausgedörrt.
Es war weniger Mut als der pure Wille zu überleben, der sie noch einmal Atem schöpfen, die Augen
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