Das Vermächtnis der Feuerelfen
sein muss. Niemand hat die Verwechslung bemerkt. Deshalb bin ich so anders als alle hier.«
»Aber das verstehe ich nicht«, wandte Heylon ein. »Ich meine, wenn ein Kind stirbt, dann bleibt das doch nicht unbemerkt. Wie ist so etwas möglich?«
»Diese Frage können nur Lenval und Verrina beantworten.« Caiwen seufzte und fuhr fort: »Aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, sie danach zu fragen.«
»Warum nicht?«
Caiwen antwortete nicht sofort. Ein paar Herzschläge lang schaute sie Heylon nur an, dann huschte ein Schatten über ihr Gesicht, und sie sagte traurig: »Weil Lenval mir dann vielleicht erzählen wird, dass er meine Mutter getötet hat.«
Heylon schwieg betroffen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als Caiwen zu trösten. Aber er fand die Worte nicht, die seine
Gefühle hätten ausdrücken können. So rückte er nur näher an Caiwen heran und legte ihr sanft den Arm um die Schultern. Es war das erste Mal, dass er sie auf diese Weise berührte. Er war darauf gefasst, dass sie sich ihm entzog, und hätte es ihr nicht übel genommen, aber Caiwen ließ ihn gewähren und lehnte den Kopf an seine Schulter.
Lange saßen sie so beieinander und hingen ihren eigenen Gedanken nach, während die Sonne sich rot färbte und die Felstölpel nach und nach in ihre Nisthöhlen zurückkehrten.
Als die Sonne den Horizont im Westen berührte, hielt Heylon das Schweigen nicht länger aus. Seine Stimme klang rau, als er endlich die Frage stellte, die ihn schon die ganze Zeit bewegte: »Was wirst du jetzt tun?«
»Ich gehe fort!« Das kam so unerwartet, dass Heylon erschrocken nach Luft schnappte. »Was?« Fassungslos starrte er Caiwen an. »Aber das...«
»Durin ist meinetwegen hier«, unterbrach ihn Caiwen so ruhig, als hätte sie sich jedes Wort genau überlegt. »Meine Familie hat ihn geschickt. Er sagt, sie suchen schon seit vielen Wintern nach mir.« Sie schaute ihn an, und in ihren Augen las er, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte. »Wenn sie kommen, ihn zu holen, werde ich mit ihm gehen.«
»Aber das Riff und die Menschen hier?«, setzte Heylon hilflos zu einer Frage an. »Was wird aus uns? Was wird aus Verrina und Lenval und...?«
… was wird aus mir?, wollte er noch hinzufügen, schluckte die Worte aber im letzten Augenblick hinunter.
»Ihr seid nicht in Gefahr.« Caiwens Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Als Elfe wird man mich nicht mit den Piraten von damals in Verbindung bringen. Ich werde allen erzählen, dass ich die letzten Winter allein auf dem Riff gelebt habe. Weder von mir noch von Durin werden die Tamoyer etwas über euch erfahren.
« Plötzlich wurde ihre Stimme sanft. Sie wand sich aus Heylons Arm und ergriff seine Hände. »Überleg doch mal«, sagte sie mit hoffnungsvollem Blick. »Wenn ich Durin begleite, kann ich endlich herausfinden, ob die Tamoyer uns noch immer nach dem Leben trachten. Ich könnte ein Schiff zum Riff schicken, das euch von hier fortholt, und …«
»Traust du diesem Durin?«, fragte Heylon, ohne auf Caiwens Worte einzugehen. »Sei nicht dumm, Caiwen. Was weißt du von ihm? Und was weißt du von deiner angeblichen Familie? Wie kannst du...?«
»Ich weiß, dass er mir die Wahrheit sagt«, fiel Caiwen ihm barsch ins Wort. »Eine Wahrheit, nach der ich fünfzehn Winter vergeblich gesucht habe. Er ist gekommen, um mir mein Leben zurückzugeben, und ich werde mit ihm gehen und es annehmen. Es ist mein gutes Recht und niemand wird mich davon abhalten.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, schob trotzig das Kinn vor und blickte ihn herausfordernd an.
Heylon spürte, dass Caiwen sich nicht umstimmen lassen würde, und irgendwie konnte er sie sogar verstehen. Es musste schlimm für sie sein zu erfahren, dass sie nicht die war, für die sie sich immer gehalten hatte. Noch schlimmer musste es sein zu erkennen, dass Lenval und Verrina sie die ganze Zeit belogen hatten. Am schwersten aber würde es für Caiwen zu ertragen sein, wenn sich herausstellte, dass Lenval tatsächlich ihre Mutter getötet hatte. Heylon wagte nicht, sich vorzustellen, was dann geschehen würde. Für Caiwen gab es nur einen Weg: Sie musste das Riff verlassen.
»Dann komme ich mit dir.« Die Worte kamen ihm mühsam, fast unbeholfen über die Lippen. Sein Herz hämmerte wie wild. Er meinte es ernst, aber er war noch nie besonders mutig gewesen und hatte keine Übung darin, sich entschlossen zu geben. Er hielt inne und atmete tief durch, um sich zu beruhigen, ehe er
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