Das Vermächtnis der Feuerelfen
über die Reling und ließ sich auf die Planken sinken. Der Schmerz in ihrer Schulter war jetzt fast unerträglich, sie atmete schwer und vor ihren Augen tanzten silberne Sterne, aber sie lebte und hatte ihr Ziel erreicht.
Der Mannschaft in den Kojen war ihr Kampf mit dem Dämon gewiss nicht entgangen, aber an Deck war keine Menschenseele zu sehen. Finearfin grinste zufrieden. Diese Seeleute waren wirklich ein feiges und abergläubisches Völkchen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Jetzt musste sie nur noch ein geeignetes Versteck finden. Dann konnte die Reise beginnen.
ZWEITES BUCH
Síve i súle sinte helca súresse, San sinta estel.
FLUCHT
V or dem Eingang der kleinen Höhle, in der Durin nun schon die zweite Nacht verbracht hatte, hellte sich der Nachthimmel langsam von Tiefblau zu Grau auf. Das Funkeln von Mond und Sternen verblasste, während ein schmaler blassrosa Streifen im Osten von der nahen Morgendämmerung kündete.
Durin fror. In der Feuerstelle glomm nur noch ein spärlicher Rest der brennenden Steine, die er um die Mitte der Nacht dort aufgeschichtet hatte - zu wenig, um die Höhle zu wärmen.
Umständlich richtete er sich auf, nahm eine Handvoll zerstoßener Steine und streute sie über die Glut, so wie Caiwen es ihm gezeigt hatte. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Flammen hungrig an den kleinen Steinen emporzüngelten. Als sich an ihrer Unterseite ein rötlicher Schimmer zeigte, legte er ein paar der faustgroßen und erstaunlich leichten Brocken nach und hielt die klammen Finger der Glut entgegen. Obwohl er das Feuer nun schon so lange hütete, faszinierten ihn die brennenden Steine noch immer. Bevor er die Reise mit der Annaha angetreten hatte, hätte er jeden einen Lügner genannt, der behauptete, dass Steine brennen konnten. Inzwischen wusste er es besser. Die schwarzen Gesteinsklumpen brannten zehnmal länger als ein Holzscheit und gaben dabei ein Vielfaches an Wärme ab. Das Beste aber war, dass
sie nahezu keinen Rauch erzeugten. Ein Vorteil, den Durin in der kleinen Höhle sehr zu schätzen wusste. Caiwen hatte ihm erzählt, dass die Steine aus dem Ozean stammten. Da sie nur ein geringes Gewicht besaßen, trieben sie an der Wasseroberfläche und wurden von den Wellen an den Strand geworfen. Die Riffbewohner mussten sie dann nur noch einsammeln und trocknen.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte Durins Lippen, als er an das Elfenmädchen dachte. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hatte Caiwen ihm Gesellschaft geleistet, seine Wunde versorgt und ihm auch etwas zu essen gebracht. Sie hatte ihm viel über das Leben auf dem Riff erzählt und auch nicht verschwiegen, warum die Flüchtlinge auf dem Riff lebten. Es hatte ganz den Anschein, als sei es ihm tatsächlich gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen, auch wenn es zu Anfang nicht so ausgesehen hatte.
Nachdem er ihr gleich am ersten Nachmittag erzählt hatte, was er über sie wusste, und ihr mit schonungsloser Offenheit gestanden hatte, dass er nur deshalb zum Riff gekommen war, um nach ihr zu suchen, war sie ohne ein Wort fortgegangen. Er hatte große Sorge gehabt, dass sie ihn verraten würde, war das Risiko aber ganz bewusst eingegangen, denn die Zeit zerrann ihm unter den Fingern.
Jeden Augenblick konnte die Annaha am Horizont auftauchen. Er war verletzt und konnte nur unter Schmerzen laufen. Caiwen gegen ihren Willen, vielleicht sogar mit Gewalt vom Riff zu verschleppen, war unter diesen Umständen so gut wie unmöglich. Seine einzige Hoffnung bestand darin, sie davon zu überzeugen, dass es das Beste für sie sei, wenn sie mit ihm ging.
Dass sie am nächsten Morgen mit einer Fülle von Fragen zu ihm zurückgekehrt war, wertete er als Erfolg. Zwar hatte sie ihm noch nicht gesagt, wie sie sich entschieden hatte, aber sie schien sich gedanklich bereits mit einer Reise nach Tamoyen auseinanderzusetzen.
Zweifellos würde ihr der Schritt leichter fallen, wenn ihr
Freund Heylon sie begleitete. Zweimal schon hatte sie Durin direkt gefragt, ob er nicht mitkommen könne. Der Gedanke gefiel ihm gar nicht. Er wusste nicht, welche Pläne Maeve mit dem Mädchen hatte, war sich aber ziemlich sicher, dass Heylon nicht darin vorkam. So hatte er die Angst vor den Tamoyern, die unter den Riffbewohnern weit verbreitet zu sein schien, geschickt dafür genutzt, Caiwen davon zu überzeugen, dass es sicherer war, wenn Heylon zunächst auf dem Riff zurückblieb.
Die Gespräche mit Caiwen waren sehr aufschlussreich, aber sie waren auch gefährlich.
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