Das Vermaechtnis der Hexen
Summen, ein wunderschönes leises Summen drang an mein Ohr. Sonne strahlte auf mein Gesicht. Ich lag auf etwas Weichem. Ich roch ... Erde?
Ich öffnete meine Augen und wurde vom Sonnenlicht geblendet. Heftig blinzelte ich dagegen an und mein Kopf dröhnte. Eine Hand verdeckte die Sonne und gab mir Schatten. Ich sah mich um. Jas war an meiner Seite. Er lächelte. Wir waren auf einer Wiese. Meiner Traumwiese. Ich sah wieder zu Jas. Er lächelte nicht mehr. Er verbarg seine Gefühle und Gedanken vor mir. Er saß jetzt einige Meter von mir entfernt.
»Wie sind wir hierhergekommen?«
»Ich habe dich aufgefangen und brachte dich hierher.« Dieser Unterton gefiel mir ganz und gar nicht. »Wie? Und wieso ausgerechnet hierher?« Er zuckte leicht mit seiner Schulter.
»Und was willst du jetzt machen?«
Er überlegte lange, bevor er sprach: »Mich von dir verabschieden.«
Mein Magen verkrampfte sich. »Dafür sind wir hier?« Er nickte.
Panik stieg in mir hoch. »Und dann? Was willst du dann machen?«
»Ich will erst mit dir reden, bevor ich diese Frage beantworte.«
Sie hat jetzt magische Fähigkeiten. Sie kann auf sich selbst aufpassen. Sie braucht mich nicht mehr und ich kann ihr nie wieder weh tun. Unbewusst sprach ich laut: »Nein.«
Er sah mich verdutzt an. Dann kniff er seine Augen zusammen. »Du hast mich gehört? Du kannst jetzt auch Gedanken lesen, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Dann muss ich es dir wohl erklären.« Er seufzte schwer. »Meine Aufgabe, seit ich dich das erste Mal sah, war, auf dich aufzupassen. Jetzt bist du siebzehn. Ein Mädchen mit Magie. Ein Mädchen, das sich selbst beschützen kann. Ein Mädchen, das mich nicht mehr braucht.« Langsam sickerten die Worte in mein Bewusstsein.
»Ich möchte dir noch etwas erzählen. Du hast mir damals die Geschichte von Pet erzählt, also der Unfall.« Er zögerte.
»Ich habe dich damals aus dem Weg gerissen.«
Ich sah ihn verblüfft an.
»Das gehörte auch zu meiner Aufgabe. Damals schon.«
»Also ... also warst du nur bei mir, weil ... weil du eine Aufgabe hattest? Die Aufgabe, mich zu beschützen, bis ich siebzehn bin?«
Er nickte traurig. Der Schmerz in meiner Brust tat weh, zerriss mich Stück für Stück. »Es war eine Aufgabe, ja. Ich musste dein Vertrauen dafür gewinnen, mehr nicht.«
Mein Herz sprang in Millionen von Teilen. Und die Liebe? Die Liebe, die er mir fast jeden Tag bestätigt hatte?
»Eine Lüge«, platze es aus mir heraus. »Eine beschissene Lüge.« Ich stand auf und versuchte wegzurennen. Jas versperrte mir den Weg.
»Was ist eine Lüge?«
»Deine Liebe. Das ist die Lüge.« Er erstarrte. Ich nutzte die Gelegenheit und rannte davon. So schnell, wie ich konnte. Ich kam nicht weit. Eine Wurzel verhinderte meine Flucht.
Ich fiel der Länge nach hin und blieb liegen.
Er hatte es Tag und Nacht gesagt, geschworen. So viel Ehrlichkeit war in seinen Augen gewesen. So viel Liebe. Ich hatte mich nie daran gewöhnt. Dachte nie, dass er mich liebte. Ich hatte ihm misstraut. Und jetzt fand ich mein Misstrauen bestätigt.
Mein Herz. Gott, es fühlt sich an, als sterbe ich.
Ein Gedanke blitzte auf. Ich rappelte mich auf und lief zurück. Aber die Lichtung war leer. Ich lief weiter geradeaus. Nach fünfzehn Minuten kam ich ans Meer. Die Wellen schlugen hoch an die Klippe, auf der ich zum Stehen kam. Hier rief ich alle meine Erinnerungen wach.: Eltern, Familie, Freunde ... Jas. Jas, der mich liebte. Die wundervollste Zeit meines Lebens mit ihm. Jas, der mir von seiner wahren Natur erzählte. Jas, der mich am gleichen Tag verließ. Die Zeit ohne ihn. Jas, der wieder da war. Die ganze Zeit mit ihm. Und dann bis zu meinem Geburtstag. Alle Erinnerungen strömten in mich hinein. Sein Gesicht und dann diese Lüge. Beides passte gut zusammen. Zu gut, um wahr zu sein. Ich wartete noch einen Moment. Mein Entschluss stand fest.
Ich wollte gerade springen, als mir vier Stimmen zuriefen: NEIN. Ich achtete nicht darauf. Dachten sie wirklich, ich würde so weiterleben? Ein Leben ohne Jas? Niemals. Ich sprang und schwebte. Dann urplötzlich eine Eiseskälte. Bitte schwimm weiter. Schwimm. Für uns. Für deine Familie und Freunde. Diese Stimme war mir neu. Sie war mir egal, denn ich würde sie ohnehin nicht mehr kennenlernen. Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen.
Ich lächelte. Ich sah Jas’ Gesicht vor meinem inneren Auge. Die Luft strömte mir langsam aus den Lungen. Ich verschluckte mich am Wasser und hustete. Das Wasser brannte in meiner Kehle
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