Das Vermächtnis der Montignacs
begrüÃte Raymond sie gut gelaunt. »Aber hatte ich Sie nicht gebeten, mich Raymond zu nennen?«
»Also dann, Raymond«, sagte sie, obwohl diese Vertrautheit ihr nach wie vor unangenehm war. »Ich habe Frühstück gemacht. Ihr seid doch sicher hungrig.«
»Wir sterben vor Hunger.« Stella ging zum Herd und begutachtete die Pfannen, in denen Schinkenspeck, Eier und Würstchen brutzelten. »Perfekt«, sagte sie. »Ich decke den Tisch.«
Den förmlichen Speisesaal oder auch den kleineren Frühstückssalon benutzten sie nicht mehr; stattdessen wurden die meisten Mahlzeiten an einem kleinen runden Tisch in der Küche eingenommen, vor dem vergitterten Erkerfenster, mit Blick auf den Park. Es war ein lauschiges Plätzchen, und da die meisten Dienstboten entlassen worden waren, musste man auch nicht mehr befürchten, unentwegt gestört zu werden.
»Wie haben die Frauen sich benommen?«, fragte Stella. »Ich hoffe, du hattest mit keiner ein Problem.«
Sie lieÃen sich zum Frühstück nieder. »Eigentlich nicht«, entgegnete Margaret. »Sicher, nur noch halbtags zu arbeiten gefällt ihnen nicht, aber ich habe ihnen erklärt, wenn sie möchten, könnten sie sich woanders eine Ganztagsstelle suchen, da wir nur noch eine Teilzeitköchin brauchen und eine Putzfrau, die an ein paar Tagen in der Woche kommt. Es ist ja nicht mehr wie früher«, schloss sie bekümmert.
»Nein.« Stella erinnerte sich an die Jahre, als ihre Familie hier zu fünft gewesen war und mit den Dienstboten unter einem Dach gelebt hatte. Zu Zeiten ihres GroÃvaters hatten in Leyville sogar mehr als doppelt so viele Menschen gewohnt, damals als hier auch die notleidenden Mitglieder ihrer weit verzweigten Familie untergekommen waren. Jetzt war nur noch sie in Leyville, eine der letzten Montignacs.
»Und wie war London?«, erkundigte sich Margaret. »Seid ihr oft ins Theater gegangen?«
»Ein oder zweimal«, berichtete Raymond. »Die meiste Zeit sind wir abends zum Essen gegangen und haben alte Freunde von Stella wiedergesehen.«
Margaret wandte sich an Stella. »Aber jetzt bleibst du für eine Weile zu Hause, oder?«, fragte sie hoffnungsvoll. »Du kehrst doch nicht gleich wieder nach London zurück.«
»Raymond muss Montagmorgen wieder dort sein und arbeiten. Aber ich gehe nirgendwohin. Ich habe vor, den Rest des Sommers hier zu faulenzen und so weit wie möglich von London weg zu sein. Dort ist es zu heiÃ, und die Themse fängt an zu riechen.«
Margaret strahlte und hätte kaum glücklicher sein können. »Das ist eine wundervolle Nachricht. Wir werden einander Gesellschaft leisten.«
»Ja«, sagte Stella, die nichts dagegen gehabt hätte, wenn es in der Umgebung noch einige jüngere Leute gegeben hätte, so sehr sie Margaret auch mochte. »Aber wir werden auch beschäftigt sein. Ich meine, mit der Planung.«
»Welcher Planung?« Margaret schaute von ihrem Teller auf. »Was gibt es denn zu planen?«
Stella und Raymond tauschten aufgeregt einen Blick. Er griff über den Tisch hinweg nach Margarets Hand und drückte sie sanft. »Margaret, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Stella eingewilligt hat, mich zu heiraten.«
»Das weià ich«, erwiderte Margaret verwirrt. »Hattet ihr das nicht schon am vergangenen Weihnachten beschlossen?«
»Doch, aber jetzt haben wir das Datum festgesetzt«, entgegnete Stella. »Jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei.«
»Lass es doch nicht wie eine Qual klingen, Liebling.« Raymond lachte und wandte sich wieder an Margaret. »Wir hatten an den ersten Samstag im Oktober gedacht. Wie hört sich das für Sie an?«
Margaret öffnete den Mund, doch ihr fehlten die Worte. Sie sprang auf und lief zu Stella, die angesichts ihrer rituellen Küsse und Umarmung in Gelächter ausbrach.
»Das ist die wundervollste Nachricht, die ich seit Langem gehört habe«, verkündete Margaret und ging sogar so weit, Raymond zu küssen, ehe sie zu ihrem Platz zurückkehrte. »Und ich dachte schon, ihr gehört zu denen, die eine dieser endlosen Verlobungszeiten planen und warten, bis die Rose verblüht ist, ehe sie den Weg zum Altar finden.«
»Das hatten wir anfangs auch vor«, bekannte Stella.
»Aber ich konnte sie vom Gegenteil überzeugen«, warf Raymond ein. »Wir sind der
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