Das Vermächtnis der Wanderhure
Eifersucht auf Hiltrud mit. Anni kannte den Grund für die enge Verbindung zwischen Marie und der Bäuerin nicht und fühlte sich nach den Abenteuern, die sie mit ihrer Herrin erlebt hatte, ein wenig zurückgesetzt.
Marie zog sie fröhlich an sich und kniff ihr ins Ohrläppchen.
»Dummchen! Wer wird sich denn ärgern, wenn ich Hiltrud lobe? Immerhin hat sie mir mein Leben gerettet, so wie ich dir das deine.«
Anni wurde rot und senkte den Kopf. »Verzeih mir, aber das wusste ich nicht.«
»Du kannst ja nichts dafür, denn ich habe es dir nie erzählt. Es gibt in meiner Vergangenheit Dinge, über die ich gerne den Mantel des Schweigens breite.«
Anni nickte verstehend, denn sie hatte scharfe Ohren und auf dem Markt von Rheinsobern die eine oder andere Bemerkung aufgeschnappt, die Marie in ein seltsames Licht rückten. Zwar waren die Weiber, die über ihre Herrin gesprochen hatten, bei ihrem Anblick schnell verstummt, dennoch war ihr klar geworden, dass es in Maries Leben auch schon vor ihren Abenteuern in Böhmen schlimme Dinge gegeben hatte.
Rasch schlüpfte sie in ihr Kleid, schloss das Mieder und eilte in die Küche, um warmes Wasser für Marie zu holen. Als sie zurückkam, half sie ihrer Herrin wie gewohnt bei der Morgenwäsche. Dabei strich sie mit den Fingerspitzen über die feinen Linien, die schachbrettartig über deren Rücken liefen. Anni wusste,dass solche Male von Auspeitschungen stammten, und fragte sich, wer so grausam gewesen war, eine so schöne und edle Frau derart schrecklich zu zeichnen.
VIII.
H iltrud war ebenso traurig wie erleichtert, als Marie an diesem Morgen von Abreise sprach, denn ihre Freundin war bereits länger geblieben als geplant, und sie machte sich Sorgen, ob diese den weiten Weg noch ohne Probleme würde zurücklegen können. Natürlich hätte sie ihr Obdach geboten, bis die Geburt vorüber war und Marie mit ihrem Kleinen bei schönem Wetter reisen konnte. Aber als Gemahlin eines Reichsritters war ihre Freundin verpflichtet, unter den Augen hochrangiger Zeugen zu gebären, und sie durfte ihrem Mann nach all dem Schweren, das sie und Michel durchgemacht hatten, auch nicht länger fernbleiben.
Daher nickte Hiltrud bedächtig, setzte Marie einen goldbraun gebackenen Pfannkuchen vor und reichte ihr den Honig. »Mein Herz ist schwer, wenn ich daran denke, dass wir uns so rasch wieder trennen müssen. Diesmal aber ziehst du nicht auf gefährlichen Pfaden davon, sondern kehrst in die Arme deines dich liebenden Ehemanns zurück und zu deiner kleinen Tochter. Wenn du mich das nächste Mal besuchen kommst, musst du Trudi mitbringen. Ich möchte doch wissen, wie sich mein Patenkind gemacht hat.«
»Natürlich bringe ich sie mit, und ich hoffe, Michel wird uns begleiten.« Marie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die ihr bei dem Gedanken an ihre Abreise in die Augen stiegen. Abgesehen von Michel und Trudi gab es keinen Menschen auf der Welt, dem sie sich enger verbunden fühlte als Hiltrud, und sie bedauerte nicht zum ersten Mal, dass das Schicksal sie in eine so weit entfernte Gegend verschlagen hatte.
»Wir beide sind wirklich Hühner«, schniefte sie, während sie ihre Wangen trocken rieb. »Tun wir doch so, als wäre es ein Abschied für immer! Dabei komme ich spätestens in zwei Jahren wieder. Reden wir lieber über etwas anderes. Wie du weißt, würde ich gerne eine deiner Töchter mitnehmen und ihr später eine angemessene Heirat stiften.«
Hiltrud seufzte und wiegte den Kopf. Bisher war immer nur von Mariele die Rede gewesen, und nun sprach Marie von einer ihrer Töchter. Auch wenn sie beide Mädchen von ganzem Herzen liebte, war ihr klar, dass Mechthild sich leichter in das Leben einer Bäuerin oder Frau eines einfachen Handwerkers einfügen würde als Mariele, die jetzt schon eine Schönheit zu werden versprach.
Ein wenig in ihrem mütterlichen Stolz gekränkt, legte sie Marie den nächsten Pfannkuchen vor. »Ich werde mit den beiden reden und ihnen sagen, dass eine von ihnen dich begleiten wird. Im Augenblick aber liegt mir mehr am Herzen, was du mit Michi vorhast. Er war lange von uns getrennt, und ich möchte dich bitten, ihn wenigstens den Winter über bei uns zu lassen. Ich hoffe nicht, dass ihm daraus ein Nachteil erwächst, denn er ist natürlich stolz darauf, einem Reichsritter dienen zu dürfen …«
Sie spürte selbst, dass ihre Worte eine Schranke zwischen ihnen errichtete, aber sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen.
Marie machte eine Bewegung,
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