Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
wollte ihn schon lange kennenlernen.«
Aufgeregt zitterten seine fetten Finger, und das Geklimper der vielen Goldringe, die mit Rubinen, Topazen und nubischen Smaragden verziert waren, irritierte den Statthalter nicht wenig. Dieser thronte hinter seinem Schreibpult. Seit ein paar Tagen zitterten seine Augenlider unkontrolliert, und der Medicus hatte ihm geraten, grelles Licht zu meiden. Langsam schritt Herodes Antipas einige Male um Jesus herum. Er beneidete ihn für seinen schlanken Körper und seine charismatische Ausstrahlung, die den Großteil des jüdischen Volkes so faszinierte und die auch er zu seinem Bedauern sofort spürte. Das war eine Gabe Gottes, der mit all seiner Weisheit – die manchmal an Wahnsinn grenzte – nicht verstand, wie falsch es war, sie einem Menschen ohne ersichtliche Logik zu gewähren. Diese Gabe in den Händen eines Mannes, der nicht an Macht gewöhnt war, konnte sich in eine heimtückische Waffe verwandeln und die natürliche Ordnung der Dinge stören. Genauso, wie es bei diesem Jesus geschehen war.
»Du bist nicht einer dieser Wanderprediger«, sagte Herodes nachdenklich. »Was ist dein Geheimnis?«
»Ich habe keine Geheimnisse«, antwortete Jesus. »Ich habe meinen Leuten nur gesagt, was ich denke, und ihnen ein paar Ratschläge gegeben.«
»Hörst du, Statthalter? ›Ratschläge‹ hat er gesagt, als wäre er ein Weiser.«
Pilatus antwortete mit einem unwirschen Brummen. Er wusste alles über diesen Mann und seine Anhänger. Zweifellos waren sie ausnahmslos Rebellen, aber wenigstens waren sie nicht gewalttätig. Wenn er ehrlich mit sich war, schadeten sie niemandem – im Gegenteil: Jesus und die Seinen sorgten mit ihrer Lehre für das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Recht. Ihre Existenz rechtfertigte die Kontrollen auf den Straßen und Märkten, ohne dass die römische Besatzung dadurch allzu übermächtig erschien. Diese Männer waren wie offene Geschwüre, die zwar abstoßend waren, aber den Körper von unheilvollen Gedanken befreiten.
Diese dummen Juden mit ihrem Stolz, mit ihrem Neid und mit dieser absurden Hingabe an ihre Gesetze, als seien sie unveränderbar und ewiglich und nicht nur ein Instrument zur Machtausübung! Wenn man diesen Jesus verurteilte, würden seine Anhänger einen Märtyrer aus ihm machen. Pilatus erschrak, als ihm ein neuer Gedanke durch den Kopf schoss: Ob der Sanhedrin möglicherweise genau das beabsichtigte? Ob er Jesus als Vorwand nahm, um eine Revolte gegen Rom anzuzetteln? Eine Bitte von Herodes ließ ihn aufschrecken.
»Ich bitte dich, Jesus, warum zeigst du mir nicht eines deiner Wunder?«
»Was willst du von mir, Herodes? Sind dir deine Possenreißer nicht genug?«
Der Tetrarch biss sich auf die Lippen, während Pilatus sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
»Du bist hochmütig, Galiläer. Ist dir nicht klar, dass du dich gut mit uns stellen solltest, weil ein einziges Wort dich wieder frei machte?«
»Ich danke dir, doch ich bin schon frei, auch wenn diese Ketten hier schwer wiegen. Nichtsdestotrotz bitte ich Euch nur darum, gehen zu dürfen. Und das zu gestatten, liegt in Euren Möglichkeiten. Der Sanhedrin hat bereits sein Urteil über mich gefällt.«
»Dann zeige mir eines deiner Wunder«, wiederholte Herodes, »und wenn du ein echter Magier bist, dann werde ich den Statthalter bitten, dich meinem Hofe anzuvertrauen.«
»Ich bin kein Magier«, sagte Jesus kopfschüttelnd. »Und du willst eigentlich auch gar nicht die Wahrheit wissen – du wünschst nur etwas Kurzweil.«
»Ich nicht«, sagte Pontius Pilatus und erhobt sich von seinem Schreibpult. »Bei allen Göttern! Ich möchte verstehen, warum du hier bist. Ich will dich kennenlernen.«
»Zuerst soll er ein Wunder an mir vollbringen«, sagte Herodes weinerlich. »Immerhin bin ich sein König!«
»Deine goldene Krone ist weniger wert als der Lorbeerkranz, den irgendein römischer General trägt«, brach es aus Pontius Pilatus heraus. »Dein einziger Triumph war, den Lenden deines Vaters Herodes zu entspringen. Sie nennen dich ›Fuchs‹, doch in Wirklichkeit bist du nur ein feister Esel.«
Herodes ließ die Schultern hängen und biss sich auf seine Fingerknöchel. Eines Tages, schwor er sich, würde er für diese Demütigung Rache nehmen. Er begann zu quengeln.
»Ich bin krank, Pilatus. Du weißt, ich leide an Wassersucht, und wenn mich die Traurigkeit erfasst, dann kriechen sogar Würmer aus meinem Mund. Und mich quält der Schmerz über die Krankheit meines
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