Das Vermächtnis des Kupferdrachens ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
stand die junge Gräfin vor einem Gemälde. Das Tuch, unter dem das Bild so lange verborgen gewesen war, hielt sie zerknüllt in der Hand. Sie betrachtete ihr eigenes, glücklich lächelndes Gesicht, das dort in Öl gebannt war, und den zweijährigen Knaben an ihrer Hand, der unverkennbar ihre Züge trug. Leise näherte sich die Priesterin und legte behutsam die Hände auf Laminas Schultern.
»Ich bin eine Verliererin«, flüsterte die Gräfin leise, und Tränen glänzten unter ihren dichten Wimpern. »Ich habe meinen Vater geliebt bis zu dem Tag, als er mich für seine Geschäfte an einen reichen Seidenhändler verkauft hat. Meine Mutter habe ich bis zu ihrem Tod geliebt, an dem ich mich schuldig fühle. Ich habe meinen Mann geliebt und verloren und meinen Sohn.« Lamina deutete auf das Bild. »Mein Sohn Cervin. Er war zwei Jahre alt, als Gerald zu dieser mysteriösen Reise aufbrach. Ein paar Monate später ist es passiert. Ich war damals zum zweiten Mal schwanger. An einem sonnigen Frühlingstag kam ich mit meinem Sohn und dem Kindermädchen von einem Spaziergang zurück, als mir auf der Zugbrücke plötzlich schwarz vor Augen wurde und ich mich setzen musste. Das Kindermädchen war ganz aufgeregt und bemühte sich um mich. So konnte Cervin unbemerkt zum Rand der Brücke gelangen. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich wieder zu mir kam. Ich schrie. Da stand er direkt am Abgrund! Er drehte sich zu mir um und fiel. Das Geräusch, mit dem er in den Graben stürzte, wird mir immer im Gedächtnis blEiben. Ich sprang ihm nach, doch ich konnte nicht richtig schwimmen, und das schwere Kleid zog mich nach unten. Das Wasser war so trüb – ich konnte Cervin nicht sehen. Das Kindermädchen kreischte um Hilfe – die Wachen rannten herbei. Dann verlor ich das Bewusstsein.«
Lamina schwieg und zog das schwarze Tuch wieder über das Bild. Dann sprach sie leise weiter. »Als ich erwachte, saß Lahryn an meinem Bett. Ich schrie nach Cervin, doch er konnte mich nur noch zu seiner Leiche führen. Zu spät hatten ihn die Wachen aus dem Wasser gezogen. In dieser Nacht verlor ich auch mein zweites Kind. Es hat die Sonne nie gesehen. Lahryn hat lange um mein Leben gekämpft, doch manchmal wünschte ich, er hätte es nicht getan.«
Sie umschlang Rolana und weinte bitterlich. »Und jetzt bekomme ich ein Kind, dessen Vater mich geschändet hat, und den ich mit eigenen Händen erstochen habe. Sag mir, wie soll ich damit weiterleben?«
Rolana zog Lamina auf das Sofa und streichelte sie sanft, bis sie sich beruhigt hatte. »Du hast dir eine Aufgabe gestellt, die nicht leicht ist: Du willst als Frau das Erbe deines Mannes antreten und eine Grafschaft verwalten, doch ich glaube, du hast die Kraft dazu. Es wird schwer werden, aber nicht unmöglich, nun auch noch ein Kind aufzuziehen. Wir wachsen an unseren Herausforderungen. Du musst sie nur offen annehmen. Das Kind wird eine eigene Persönlichkeit, unabhängig vom Vater, den es nie kennen lernen wird. Deine Pflicht ist es, ihm die Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen, die ein unschuldiges Kind verdient, und es nicht für die Sünde seines Vaters büßen zu lassen. Glaube mir, wenn es geboren ist, wirst du es lieben.«
Lamina blieb noch eine Weile in Rolanas Umarmung, dann machte sie sich los. »Trotzdem ist es schwer, gerade jetzt auf euch zu verzichten.«
Rolana sah schuldbewusst zu Boden. »Glaube mir, ich habe mit dieser Entscheidung lange gerungen.«
Lamina seufzte und trocknete sich das Gesicht. »Schon gut, ich werde versuchen, nicht egoistisch zu sein, schließlich willst du die schöne, schreckliche Welt retten, in der wir leben – und wir werden immer Freunde blEiben.«
Die beiden Frauen umarmten sich herzlich, dann ging Lamina hinaus. Rolana saß noch eine Weile da und starrte das verhüllte Gemälde an. Erfüllt von Trauer bat sie Soma, den Gott des Mondes, um Trost für Lamina.
*
Die Morgendämmerung vertrieb die Schatten der Nacht und ließ die Abschiedsstunde näher rücken. Die Gefährten hatten kaum Schlaf gefunden, zu sehr hatte die bevorstehende Reise ihre Gedanken beschäftigt. Ibis war die Einzige, die trotz der frühen Stunde ihre kaum zu trübende gute Laune versprühte. Erwartungsvoll war sie bereits vor dem Morgengrauen in ihre Kleider geschlüpft und zu den Ställen hinuntergegangen. Inzwischen hatte sie bereits alle Pferde gesattelt und in den Hof geführt.
»Guten Morgen, ihr Schlafmützen, geht es endlich los?« »Sprich mich nicht an, bevor die
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