Das Vermächtnis des Martí Barbany
es etwas mühsam, die Berge zu überqueren, doch wichtig ist, dass ich schließlich hier bin.«
»Seid willkommen. Ihr dürft glauben, dass mich die Gräfin jeden Tag
in diesen fünf Monaten unablässig gepeinigt hat: Ihretwegen musste ich immer wieder zum Ausguck der Festung hochsteigen, bis ich endlich das Band um Euren Arm entdeckt habe und hinuntergehen konnte, um ihr die Nachricht mitzuteilen. Sie hat mir niemals Ruhe gelassen. Die Tage dehnten sich für mich zu einer Ewigkeit, und mehr als einmal musste ich ihre schlechte Laune aushalten. Wenn sich jemand wirklich über Eure Ankunft freut, so derjenige, der zu Euch spricht.«
»Glaub nicht, dass es leicht ist, so viele unterschiedliche Aufgaben miteinander abzustimmen. Mein Herr ist ein viel beschäftigter Mann. Doch nun bin ich hier und habe eindeutige Anweisungen, um das Projekt in Gang zu bringen.«
»Der Plan muss sicher sein. Die Gräfin kann unmöglich zurückkehren. Euer Hochwürden und die beteiligten Männer würden im Fall eines Scheiterns den Zorn des Grafen zu spüren bekommen, sobald Ihr in Barcelona eintrefft, aber meine Herrin müsste schlimmste Schmach erdulden, und mir würde man gewiss den Kopf abschlagen. Und wahrhaftig, im Lauf der Zeit habe ich ihn lieb gewonnen«, sagte der Zwerg halb im Scherz und halb im Ernst.
»Wenn ihr, du und deine Herrin, euren Teil erfüllt, könnt ihr euch darauf verlassen, dass ihr schon so gut wie im Schloss meines Herrn seid. Wenn etwas misslingt, weiß Gott, so wird das nicht durch unsere Schuld geschehen.«
»Nun gut. Obwohl mir die Gräfin grenzenlos vertraut, will sie in diesem ganz außerordentlichen Fall von Euch selbst hören, welche Manöver man insgesamt vorbereitet hat.«
»Selbstverständlich. Sag mir, wann und wo.«
»Jetzt ist der richtige Augenblick. Meine Herrin hat sich in ihr Studierzimmer zurückgezogen, und dort empfängt sie gewöhnlich Leute aus anderen Ländern, die ihr Nachrichten und Neuigkeiten aus der Welt draußen bringen.«
»Dann verlieren wir keine weitere Zeit.«
Der Zwerg sprang behände von seinem Sitz auf. Er ging voran und zeigte den Weg.
Als die Wachen die Schellen am Käppchen des Buckligen hörten, verzogen sie keine Miene: Sie wussten, dass sich Delfín frei bewegen durfte, und sie hatten gelernt, jeden Konflikt mit dem einflussreichen Zwerg zu vermeiden. Darum ließen sie den Winzling ungehindert passieren, während der Mönch im Gang vor dem Zimmer wartete. Der Zwerg verschwand
hinter den dicken Vorhängen an der Tür, die den Raum vor Zugluft schützten und die Lautstärke der Gespräche dämpften. Einen Augenblick später tauchte er wieder auf.
»Die Herrin erwartet Euch. Kommt mit.«
Mit energischen Schritten betrat Gilbert d’Estruc, der Vertraute Ramón Berenguers, denn kein anderer war der Mönch, das private Studierzimmer der Almodis de la Marche, der Herrin von Toulouse.
Die Gräfin wartete stehend – etwas ganz Ungewöhnliches – mitten im Zimmer und zerknitterte ein kleines Taschentuch in der Hand, was verriet, wie aufgeregt sie dieser Begegnung entgegengesehen hatte.
Der angebliche Mönch beugte das Knie vor der Dame.
»Erhebt Euch, Herr. Ich habe Eure Ankunft mit der Herzensangst des Schiffbrüchigen herbeigesehnt, der in der Ferne die Umrisse der Küste sieht. Verlieren wir keine Zeit mit unnützen Förmlichkeiten. Folgt mir. Drinnen im Studierzimmer ist es bequemer und sicherer.«
Der Mönch lief hinter der Dame her, und dabei bewunderte er ihr stattliches Aussehen und die Kühnheit, mit der sie sogleich das Thema angesprochen hatte. Das Männlein wollte sich schon zurückziehen, doch sie sagte: »Delfín, hol dir einen Schemel, und setz dich zu uns. Du sollst alles erfahren, was ich weiß, und ich erwarte von deinem Scharfsinn, dass du jede Kleinigkeit bemerkst, die mir entgeht.«
Der Zwerg schleppte mühsam ein Stühlchen herbei und setzte sich zu seiner Herrin. Gilbert d’Estruc nahm ihr gegenüber Platz.
»Ich habe auf diesen Tag gewartet, seitdem Euer Herr fortgegangen ist, und ich bin zu allem bereit. Sagt mir, was ich tun muss.«
»Das sollt Ihr hören, Herrin. Ich nenne Euch Punkt für Punkt, was Ihr wissen müsst. Es gibt manches, was ich Euch um Eurer Sicherheit willen nicht erklären darf und was Ihr nach und nach erfahren werdet, je weiter wir bei den einzelnen Schritten dieses Plans vorankommen.«
»So soll es sein, wenn es Euer Herr so entschieden hat«, gab sich Almodis zufrieden. »Sprecht.«
»Ihr habt den ganzen
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