Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
ist mit dieser Quelle der Macht, die Ihr besitzt? Wenn sie so groß ist, wie Ihr andeutet, wieso könnt Ihr sie dann nicht gegen ihn einsetzen?«
»Die Macht, zu der ich Zugang habe, kann tatsächlich als groß bezeichnet werden, aber nicht in dem Sinn, den du oder gar Selkor vermutet. Das will er aber nicht wahrhaben. Die Macht kann nicht für Tod und Zerstörung eingesetzt werden. Wer das versucht, verunreinigt die Quelle und lässt sie womöglich für immer versiegen. Es gibt mehrere Quellen der Macht in diesem Land, Calvyn, und ursprünglich wurden Hüter eingesetzt, um ihre Schlüssel zu bewachen. Diese Hüter wurden aufgrund ihrer Achtung für das Leben und ihrer Abscheu vor Gewalt ausgewählt, und ich kann Selkor genauso wenig verletzen wie ich jede andere lebende Kreatur verletzen könnte. Wenn ich ihn irgendwie zu fassen bekommen kann, ohne ihn körperlich anzugreifen, nutze ich meine Chance. Genau das wollte ich Selkor klarmachen, als ich ihn denken ließ, ich könnte ihn ewig in einem Augenblick gefangen halten. Er war so selbstsicher, weil er glaubte, ich würde niemals jenes Magiergesetz
brechen, das ein öffentliches Kräftemessen verbietet. Und dann war er vollkommen unvorbereitet, als ich die Leute einfach aus unserem Treffen ausgeblendet habe. Aber genug des Eigenlobs. Wir sollten ein wenig schlafen. Wir haben morgen einen langen Weg vor uns, und ich weiß nicht genau, wohin wir reiten sollen.«
»Gibt es noch mehr Magiergesetze, die ich kennen sollte? Das mit dem öffentlichen Wettkampf habt Ihr noch nie erwähnt«, beschwerte sich Calvyn verärgert, weil man ihm Dinge vorenthielt.
»Oh ja, eine Menge! Aber mal ehrlich, Calvyn, nur mit einem Licht-Zauberspruch bewaffnet, wirst du doch nicht ernsthaft vorhaben, einen anderen Magier öffentlich herauszufordern?«
»Nein, eher nicht«, brummte Calvyn, »aber es wäre nett gewesen, Bescheid zu wissen.«
»Überlass lieber mir die Entscheidung, was du wann wissen musst, Calvyn. Glaub mir, es gibt viele Dinge, für die du noch nicht bereit bist. Wenn es so weit ist, wirst du auf die eine oder andere Art alles Notwendige erfahren. Und jetzt schlaf lieber. Das waren genug Fragen für heute.«
Perdimonn stand auf, streckte sich und ging gähnend zu seiner behelfsmäßigen Unterkunft hinüber. Calvyn sah ihm nachdenklich zu, wie er in das Zelt kroch, und fragte sich, wie viele Gesichter der freundliche alte Magier noch haben mochte, von denen er nichts wusste. Hüter einer großen Macht? Welcher Macht? Und wer hatte ihn eingesetzt? Wie war er ausgewählt worden? Die Fragen bestürmten seinen Geist wie Wellen, die in einem endlosen tosenden Kreislauf an den Strand schlagen ohne eine Auflösung in Sicht. Er rieb sich ein letztes Mal die schmerzenden Schenkel und begab sich schließlich auch unter seine Decke in die willkommene Umarmung des Schlafes. Dann aber wälzte er
sich noch lange in der Brandung seiner Fragen, die in immer wieder neuen Träumen heranschwappten, ohne je einen Sinn zu ergeben.
Während der folgenden zwei Tage trieben die beiden Reisenden ihre Pferde unbarmherzig an. Sie mieden Städte und Dörfer und ritten oft querfeldein, um nicht auf Wanderer zu treffen. Die abendlichen Lehrstunden fielen knapp aus und waren darauf ausgerichtet, die Grundregeln der Magie und einfache Zaubersprüche zu erlernen. Calvyn machte rasch Fortschritte und beherrschte bald Sprüche zum Anzünden eines Feuers und zum Heilen leichter Wunden. Er konnte einfache Illusionen entstehen lassen und verfeinerte seinen Lichtspruch.
Nachdem die beiden weiter nordwärts und anschließend gen Westen geprescht waren, kündigte ein leicht violetter Schimmer am Horizont die ersten Höhenzüge des Vortaff-Gebirges an. Die Landschaft war dünner besiedelt und an den Hängen und Hecken zeigten sich immer mehr Heidekraut und Stechginster.
Obwohl sie sich von den üblichen Handelswegen und den Siedlungen im Tiefland fernhielten, spürte Calvyn, wie Perdimonn zunehmend nervös wurde. Die Vorsichtsmaßnahmen, die sie zum Verwischen ihrer Spuren ergriffen, grenzten an Verfolgungswahn. Perdimonn legte immer mehrere falsche Fährten und setzte seine magischen Kräfte ein, um auch den kleinsten Hinweis auf ihre tatsächliche Reiseroute zu beseitigen. Doch trotz aller Finten und Täuschung war der alte Mann, der doch sonst mit seinem ansteckenden Lachen und breiten Grinsen so fröhlich und heiter gewirkt hatte, nicht mehr er selbst. Der neue Perdimonn versetzte sogar die Pferde in
Weitere Kostenlose Bücher