Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
ihn ermutigt und den dringenden Wunsch geweckt, weiter mit eigenen Zaubersprüchen zu experimentieren. Er erinnerte sich wieder daran, wie er innerlich jubiliert hatte, als er die Augen öffnete und den Tiegel Salbe in seiner ausgestreckten Hand entdeckte. Das heftige Verlangen, diese Erfahrung zu wiederholen, drängte sich immer wieder in seine Gedanken, und wenn er darüber nachsann, wie großartig es wäre, ein eigenes Zauberbuch zu entwickeln, wurde ihm ganz elend zumute. Er kam zu der bitteren Erkenntnis, dass es wahrscheinlich noch viele Monate dauern würde, bis er in die Lage käme, weitere Erfolge dieser Art zu genießen.
»Eins nach dem anderen, Calvyn«, redete er sich leise zu. Da merkte er, dass Jenna ihn mit leicht amüsierten Gesichtsausdruck beobachtete. Er rang sich ein Lächeln ab. »Erste Anzeichen von Wahnsinn, und das schon am zweiten Tag!«, scherzte er.
»Wie bitte?«, meinte Jenna und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Ich rede schon mit mir selbst. Das sind die ersten Anzeichen von Wahnsinn. Ich hab nur überlegt, wie ich in ein paar Monaten sein werde.«
»Dicker wahrscheinlich, wenn du weiter dieses Zeug isst«, lachte Jenna und deutete auf seinen beinahe leeren Teller.
»Unsinn! Ich wachse noch und brauche mein Futter.«
»Ja, du wächst … in die Breite.«
»Wir werden sehen. Und was ist mit dir? Du solltest wirklich ein bisschen mehr essen.« Seine Stimme klang besorgt.
»Mir geht es gut. Ich habe mich nur noch nicht an drei Mahlzeiten pro Tag gewöhnt. Lass mir noch ein wenig Zeit. Wenn ich Derras Tortur noch ein paar Tage mitmache, verschlinge ich wahrscheinlich auch alles in Sichtweite«, antwortete Jenna mit einem Augenzwinkern.
Die beiden lachten und Calvyn stopfte auch noch die letzten Happen in sich hinein und warf dann Messer und Gabel schwungvoll auf seinen Teller. Nach einer angedeuteten Verbeugung in Jennas Richtung lehnte er sich zurück, faltete die Hände über dem Bauch und seufzte gesättigt.
»Wenn du dann auch mal fertig bist, könnten wir den Trupp sammeln und zurück in die Stube marschieren. Wir sollten schon mal anfangen zu putzen, bevor es zum Exerzierplatz geht.«
Er wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht, dann blickte Perdimonn noch einmal zurück auf den steilen Aufstieg. Im heftigen Eisregen war nichts als der felsige Berghang zu sehen, aber er spürte, dass Selkor in der Nähe war. Es setzte ihm zu, dass er den Magier aus Shandar nicht abschütteln konnte, und er knirschte voller Ingrimm mit den Zähnen, während er in Gedanken immer wieder durch sämtliche Zaubersprüche hastete, die er beherrschte.
»Wenn ich doch nur den Gestaltwandel besser geübt hätte«, dachte er bei sich, und gleich darauf schalt er sich wegen solch vergeblicher Wünsche. Der Formwechsel war eine Disziplin, die einen äußerst konzentrierten Geist und ein lebhaftes Gedächtnis für Details erforderte, und Perdimonn schätzte seine Fähigkeiten in dieser Hinsicht nur
allzu realistisch ein. Eine Erinnerung aus seinen jungen Tagen blitzte auf, als er noch verwegen genug gewesen war, sich im Gestaltwandel zu versuchen. Perdimonn zog eine Grimasse, als er daran dachte, wie er einst versuchte hatte, sich in einen Falken zu verwandeln. Ein Unterfangen, das beinahe verhängnisvoll geendet hätte.
Der junge Perdimonn war fasziniert vom Fliegen gewesen, insbesondere von der Vorstellung, es selbst zu versuchen. Und welche Gestalt hätte sich besser für die Erfüllung dieses Traums geeignet als die eines Falken, des schnellsten und elegantesten alle Vögel? Tagelang hatte er die stolzen Tiere in einer Falknerei in Mantor studiert, bis er die Umwandlung wagte. Aber er hatte einen entscheidenden Teil des Zaubers außer Acht gelassen und vergessen, sich seine eigene Gestalt einzuprägen, um anschließend in seinen Körper zurückkehren zu können. Perdimonn musste bitter lächeln, als er sich an die verdutzte und leicht misstrauische Miene des Falkners erinnerte, der kurz aus dem Raum getreten war und bei seiner Rückkehr einen jungen Mann antraf, der irgendwie leicht anders aussah als noch vor wenigen Minuten. Nach dieser kleinen Episode war Perdimonn gezwungen gewesen, die Stadt in aller Eile zu verlassen, denn wie nicht anders zu erwarten hatte die Gerüchteküche nach seinem Experiment angefangen, heftig zu brodeln.
Perdimonn wandte sich wieder dem nassen, kalten Wind zu und kämpfte sich weiter vorwärts, immer tiefer in die Berge hinein. Er zitterte und wickelte
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