Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
überstiegen, und durch die kurze Berührung mit Calvyns Gedanken erkannte Perdimonn instinktiv, dass der Junge den richtigen Weg gegangen war. Es fühlte sich genauso richtig an wie dieser Ort, den er für seine Konfrontation mit Selkor gewählt hatte. Zum ersten Mal konnte Perdimonn erahnen, wovon Seher und Wahrsager seit Jahrhunderten lebten. Das Gefühl, dass die Ereignisse, einen vorgezeichneten Lauf nahmen, überwältigte ihn. Der Eisregen, der Wind und seine kalten, feuchten Kleider – alles Dinge, die bis dahin niederdrückend erschienen waren, verwandelten sich auf einmal in einen Segen. Sein Herz und sein Verstand erhellten sich voller Freude über diese Erkenntnis.
»Es soll so sein. Es gibt eine Bestimmung und diese Bestimmung fühlt sich richtig an. Wenn ich nur wüsste, worin sie genau besteht«, murmelte Perdimonn mit einem bitteren Lächeln. »Aber man kann nicht alles zugleich haben.«
Wieder richtete Perdimonn seine Gedanken aus, dieses Mal auf der Suche nach Selkor. Er musste nicht lange umherschweifen, denn der Magier erreichte gerade in diesem Moment den Gipfel.
Perdimonn stand auf und lehnte sich an den Stein. Seine Augen funkelten. Die alte Fröhlichkeit, die sich in den letzten
beiden Wochen tief in sein Herz zurückgezogen hatte, kam wieder zum Vorschein. Es tat so gut, in den Bergen zu sein, wo die Erde stark und unbeeinflusst vom Menschen war. Perdimonn sog die frische, reine Luft in tiefen Zügen ein und sah ungerührt zu, wie Selkor über den Rand des Plateaus kletterte.
»Es ist vorbei, Perdimonn. Dieses Mal gibt es kein Entkommen. Ich lasse mich von deinen Trugbildern nicht länger irreführen«, ließ Selkor kühl wissen. Er baute sich mit gespreizten Beinen vor ihm auf und seine Augen glühten erwartungsvoll.
»Du wirst doch zugeben, dass die letzte falsche Fährte gar nicht so schlecht war«, erwiderte Perdimonn mit einem schadenfrohen Grinsen. »Da hab ich dich ganz schön zappeln lassen.«
»Pah! Tricks und Verstellung, das ist etwas für Dummköpfe«, fauchte Selkor. »Macht gebietet Respekt, alter Mann. Du hast Zugang dazu, nur deshalb habe ich so lange gezögert. Doch du alter Narr weigerst dich, die Macht zu gebrauchen, weil du Angst hast, versehentlich einen anderen zu verletzen. Es ist schon lange an der Zeit, dass du sie an jemanden weitergibst, der gewillt ist, sie für das Wohl aller einzusetzen. An jemanden, der im Kampf gegen das Böse und die Unterdrückung nicht davor zurückschreckt, Gewalt anzuwenden. Jemanden, der nicht zögert, sich für das Richtige einzusetzen. Es ist an der Zeit, dass du sie mir übergibst.«
»Das würde ich ja gerne tun, Selkor. Wenn du derjenige wärst, der zu meinem Nachfolger bestimmt ist. Das bist du aber nicht. Der Rat hat dich bereits abgewiesen, da du eines Hüters nicht würdig bist.«
»Der Rat«, spottete Selkor, stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte höhnisch den Kopf. »Diese müden
alten Irren sind schlimmer als du. Du hast wenigstens noch einen Funken Leben in dir. Die haben ja nicht die leiseste Ahnung, was ›würdig‹ bedeutet!«
»Aber sie haben die Befugnis, diese Entscheidung zu fällen, ob es dir gefällt oder nicht.«
»Ihr Wort hat hier draußen keine Bedeutung, alter Mann, und das weißt du auch. Wenn ich die Macht erst einmal besitze, haben sie gar keine andere Wahl, als mich anzuerkennen.«
»Und du willst gegen Unterdrückung kämpfen!«, erwiderte Perdimonn lachend. »Hol doch einen Spiegel hervor und versetz ihm ein paar ordentliche Fausthiebe!«
Selkors Augen verengten sich zu Schlitzen. »Deine Lage sollte es dir eigentlich verbieten, mich zu verspotten, Perdimonn. Es gibt keinen Ort, an dem ich dich nicht finden würde, und du weißt so gut wie ich, dass du mich nur daran hindern kannst, mir zu nehmen, wonach mich verlangt, wenn du deinen Grundsatz der Friedfertigkeit aufgibst. Es ist meine Bestimmung, der mächtigste Magier aller Zeiten zu werden. Du und dein unseliger Rat mögen mich noch so oft zurückweisen – am Ende wird sich mein Schicksal erfüllen.«
»Das bleibt abzuwarten«, antwortete Perdimonn. In seinem Gesicht stand noch immer ein Lächeln, aber aus seinen Augen strahlte keine Heiterkeit mehr. »Ich werde nie zulassen, dass du an dich reißt, was mir anvertraut wurde, Selkor, und so stark du dir auch vorkommen magst, ich glaube fest daran, dass es dir nicht gelingen wird, dir die Macht mit Gewalt zu nehmen. Die Erde besitzt eine Kraft, die nicht gebrochen werden kann,
Weitere Kostenlose Bücher