Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
meiner Zukunft siehst, Mütterchen«, erwiderte Derra.
»Natürlich. Aber was willst du wissen? Willst du etwas über deinen Tod erfahren oder über dein Leben?«
Calvyn erstarrte und fragte sich, warum er nur mitgekommen war.
»Bitte, sag mir einfach, was du siehst«, verlangte Derra höflich, aber bestimmt.
»Ich sehe Krieg. Krieg und Tod. Tod und Kummer. Aber für dich sehe ich keinen Tod. Du wirst leben und aufsteigen. Oh ja, Unerbittliche. Du magst dich weigern, aber du wirst erneut befördert.«
»Krieg? Mit Shandar?«, fragte Derra überrascht.
»Mit Shandar?«, rief die alte Frau aus und brach erneut in gackerndes Gelächter aus. »Der Heilige Krieg steht vor der Tür, Unerbittliche. Sei bereit, denn er bedeutet den Untergang.«
»Den Untergang? Für wen?«
»Nein. Mehr werde ich dir nicht erzählt. Ich habe schon zu viel gesagt. Deine Zukunft habe ich geweissagt, aber wer sind deine Freunde? Wollen sie etwas über ihr Schicksal erfahren?«
Derra stand auf und deutete Jenna, ihren Platz einzunehmen. Etwas widerstrebend setzte sich Jenna auf den Stuhl und legte eine Kupfermünze in jede Hand der alten Wahrsagerin. Derra wirkte sehr nachdenklich, als sie beiseitetrat und mit Calvyn zusah, wie die alte Frau nach Jennas Händen griff.
»Ahhh«, hauchte die Seherin. »Die Jägerin. Ja, das ergibt Sinn. Die Jägerin und die Unerbittliche Seite an Seite. Interessant. Also, Bogenmeisterin, was möchtest du wissen?«
Wie schon Derra bat Jenna einfach, die alte Frau möge ihr sagen, was sie sehe.
»Krieg und Elend werden auch dich treffen. Nur wenige entkommen unverletzt, jedoch … eine lange Reise. Ja. Eine Jagd. Aber was willst du mit deinem Bogen jagen? Sei dir deines Zieles bewusst, damit du nicht selbst zur Gejagten wirst.«
»Was meinst du damit, Mütterchen?«
»Was ich damit meine? Ich meine, was ich sage«, krächzte die Alte. »Deine Beute ist die gefährlichste aller Zeiten. Du selbst musst tief in deinem Herzen wissen, was deine Beute ist. Mehr kann ich nicht sagen. Dein Schicksal ist vorhergesagt.«
»Aber es ergibt keinen Sinn«, sagte Jenna ein wenig verärgert.
»Oh, das wird es«, flüsterte die alte Frau. »Denk an meine Worte. Und, wer ist da noch? Ich ahne da so etwas …«
Die alte Frau hielt inne und neigte den Kopf zur Seite wie ein Hund, der auf ein Geräusch lauert. Beim Zusehen lief es Calvyn kalt den Rücken hinunter und beinahe hätte er auf den Hacken kehrtgemacht und wäre wie ein verängstigter Hase davongelaufen. Aber genau in diesem Moment legte Derra ihm die Hand auf die Schulter. Die Berührung ließ ihn kurz aufschrecken, weil sie so unerwartet kam,
dann aber flößte sie ihm Vertrauen ein. Denn, dachte er, was hatte die Seherin den anderen schon getan? Sie hatte ihnen ein paar Rätsel mitgegeben, sonst nichts. Warum raste ihm also das Herz?
»Lächerlich«, murmelte er vor sich hin und setzte sich auf den Stuhl, den Jenna soeben freigemacht hatte.
Er legte die verlangten Kupferstücke in die Hände der alten Frau, die sie flink einsteckte. Dann umschloss sie mit ihren knochigen Fingern seine Hände. Die Reaktion war überraschend und kam sofort. Die Seherin zuckte entsetzt zurück.
»Du … das Schwert!«, keuchte sie. Sie saß kerzengerade, die blinden Augen weit geöffnet.
In den folgenden Bruchteilen einer Sekunde geschahen mehrere seltsame Dinge auf einmal. Calvyn hörte Perdimonns Stimme an seinem rechten Ohr, die ihn klar und deutlich warnte: »Calvyn, pass auf!« Überrascht wandte sich Calvyn zur Seite, um nach dem Sprecher Ausschau zu halten, als die alte Hexe scheinbar aus dem Nichts einen Dolch hervorholte und hinter dem Tisch hervorsprang wie eine wütende Schlange.
Ein gellender Schmerz brannte in Calvyns Schulter. Der Dolch biss sich tief ins Fleisch. Die alte Frau zog die Klinge wieder heraus und wollte ein zweites Mal zustechen, aber Derra war schneller, packte das Handgelenk der alten Frau und hielt es umklammert wie ein Schraubstock. Sie entwand der Seherin das Messer und rief nach dem Marktaufseher.
Jenna, die vor Schreck wie gelähmt gewesen war, stürzte nun an Calvyns Seite. Er fasste sich an die blutende Schulter und krümmte sich vor Schmerz.
»Du brauchst einen Arzt, aber schnell«, sagte Jenna leise.
»Wem sagst du das?«, keuchte Calvyn zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor. »Sieh, ob du einen finden kannst. Und wenn nicht, dann besorg Nadel und Faden … und etwas zum Verbinden«, fügte er noch hinzu.
Blut sickerte mit
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