Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
umgekehrt nutzen, da sie annahm, dass Vallaine keine Ahnung von seiner Existenz hatte.
Das war natürlich gewagt, denn wenn er es doch kannte, dann saß sie dort in der Falle. Das war der Pferdefuß an der Sache. Normalerweise arbeitete sie vor jeder Unternehmung einen Notfallplan aus. In diesem Fall musste sie wohl oder übel alles auf eine Karte setzen.
Femke hörte, wie der Kaiser die Tür zu seinem Arbeitszimmer abschloss, und wagte einen kurzen Blick um die Ecke. Der Kaiser und sein Diener gingen in Richtung Bibliothek davon. Femke wartete noch ein paar Sekunden und rannte dann los. Doch entgegenkommende Stimmen ließen sie auf der Stelle erstarren. Sie drehte blitzschnell um und versteckte sich wieder in dem Seitengang.
Zwei der kaiserlichen Dienstboten schlenderten an ihr vorbei, tief versunken in ein Gespräch über Dienstpläne und arbeitsscheue Küchenhilfen.
Femke kochte innerlich. Hoffentlich waren sie bald verschwunden. Der Kaiser würde schon bald in der Bibliothek sein und merken, dass niemand den gesuchten Burschen kannte. Wahrscheinlich kehrte er dann schnurstracks zu seinem Arbeitszimmer zurück. Auch ohne diese unvorhergesehene Verzögerung war die Zeit reichlich knapp.
Nicht weit von der Stelle, an der sich Femke gegen die Wand drückte, blieben die beiden Dienstboten stehen. Femke zog sich vorsichtig Schritt für Schritt tiefer in den Gang zurück.
»Ich muss los, nachsehen, wie weit die mit dem Bettenmachen sind«, sagte die eine Stimme endlich.
»Dann bis später. Zum Abendessen, sechste Stunde?«
»Ja, ich werde da sein.«
Sie gingen auseinander und zu Femkes großer Erleichterung
bog keiner von ihnen in den Seitengang ein. Doch sie hatte wertvolle Sekunden, wenn nicht gar Minuten verloren. Einen Augenblick zögerte sie. Hatte sie noch genug Zeit, in das Versteck zu gelangen? Wenn man sie schnappte, war sie so gut wie tot. Doch Femke schlug alle Bedenken in den Wind und raste zur verschlossenen Tür des Arbeitszimmers.
Sie kniete sich hin und schob sorgfältig den Draht mit dem Holzgriff ins Schloss, den sie dabeihatte. Kleine Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn und rannen langsam über die rechte Augenbraue, doch Femke nahm keine Notiz davon. Innerhalb von Sekunden hatte sie mit dem Dietrich fachmännisch das Innenleben des Schlosses erkundet und schon klickte der Riegel. Femke öffnete die Tür, schlüpfte ins Zimmer und machte sich umgehend daran, die Tür wieder zu verschließen. Sie spürte, dass der Zapfen in der richtigen Stellung war, doch der Riegel klemmte.
Da hörte sie Stimmen. Der Kaiser kehrte zurück. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hatte keine Zeit mehr, die Tür richtig abzusperren.
»Ich erwarte, dass du ihn findest«, befahl der Kaiser zornig. »Durchsucht den ganzen Palast. Lasst jeden befragen. Keiner darf das Gelände verlassen.«
Femke rannte lautlos zum Getränkeschränkchen und suchte mit der Hand nach dem Mechanismus, mit dem es sich zur Seite schieben ließ. Sie war erst einmal in des Kaisers Geheimversteck gewesen. Da es damals der Kaiser für sie geöffnet hatte, wusste sie nicht genau, wonach sie eigentlich suchte. Ihr blieben nur noch wenige Sekunden. Der Kaiser war fast an der Tür. Seine zornige Stimme wurde immer lauter.
»Es ist mir egal, ob du den Palast auseinandernehmen
musst. Ich will keine Entschuldigungen hören, ist das klar? Spürt ihn auf und bringt ihn her, und zwar sofort!«
Da war er, der Knopf, tief unten an der rechten Seitenwand der Vitrine. Femke drückte ihn und betete, der Schrank möge keine Geräusche von sich geben, wenn er zur Seite schwang. Zum Glück öffnete er sich lautlos. Femke schlüpfte in das Loch hinter der Vitrine und zog den Schrank wieder an seinen Platz.
Gleichzeitig mit dem Klicken, mit dem der Knopf wieder einrastete, steckte der Kaiser den Schlüssel ins Türschloss. Femke versuchte, sich in dem engen Versteck zu entspannen und ihre Atmung zu beruhigen. Durch winzige Löcher in der verspiegelten Rückwand der Vitrine fielen kleine Lichtpunkte zu ihr herein. Gemeinsam mit den dünnen Lichtstreifen, die an den Rändern in das Versteck fielen, brachten die Löcher Femke genügend Helligkeit. Sie wagte es jedoch nicht, durch eins der Löchlein zu spähen, sondern hielt nur den Atem an und lauschte.
Femke hörte, wie der Kaiser den Schlüssel hin und her bewegte und sich vergeblich bemühte, das Schloss zu öffnen. Dann wurde der Knauf gedreht und die Tür zum Arbeitszimmer öffnete sich mit
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