Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
meinen besten Freund umzubringen. Nimm ihn nur. Ich bin mir sicher, du hast eine bessere Verwendung dafür als ich.«
Calvyn war gerührt von Beks Geste und steckte sich den Ring an den Mittelfinger der linken Hand. Anders als erwartet, fühlte sich der Ring an wie jedes gewöhnliche Schmuckstück. Calvyn fiel ein, dass Lord Vallaine einen ähnlichen Ring getragen hatte. Wahrscheinlich kam er ihm deswegen vertraut vor. Ob es wohl mehr solcher außergewöhnlichen Schutzschilde gab?
Am Mittag, als die Gruppe eine Rast einlegte, ließen die Meister sich nicht davon abbringen, ihm Dinge beizubringen, die Calvyn für völlig überflüssig hielt.
»Warum soll ich denn mit dem Stab üben, Meister Jabal?
Auf dem Wandbehang war deutlich zu sehen, dass ich das Schwert in der Hand halte. Wir wissen nicht einmal, ob ich den Ring des Nadus trage.«
Jabal lächelte ihn freundlich an. »Wenn du Selkor erst gegenüberstehst, wirst du auch auf dem Gobelin mit dem Stab abgebildet sein und nicht mit dem Schwert, Calvyn, das hoffe ich jedenfalls. Dein Schwert ist gut gemacht, aber es verfügt nicht über die Magie verstärkenden Kräfte des Stabes oder des Rings. Du übst jetzt erst einmal mit dem Stab, denn er hat weniger Macht als der Ring. Mit dem Ring anzufangen wäre, als gebe man einem Kleinkind einen Dolch in die Hand und ließe es damit Gemüse schneiden. Wenn du mit dem Stab umgehen kannst, machen wir mit dem Ring weiter.«
Calvyn nickte nachdenklich und zog dann eine Grimasse. In wenigen Tagen würden sie das Gebirge mit dem Thron der Götter erreichen. Die Zeit war knapp. Hätten die Meister ihm in der Akademie mehr beigebracht, dann wäre er für den Kampf gegen den mächtigen Magier besser gewappnet gewesen. Selkor war Calvyn an Erfahrung, Wissen und Macht weit überlegen. Nur auf einem Gebiet konnte Calvyn ihm möglicherweise das Wasser reichen, nämlich dem der Zauberei.
Aber wahrscheinlich war Selkor auch ein recht guter Zauberer, musste Calvyn annehmen. Anders war nicht zu erklären, was er in der Schlacht von Mantor mit den terachitischen Nomaden gemacht hatte. So viele Menschen auf einmal zu beeinflussen und dadurch bewegungsunfähig zu machen, war mit Magie unmöglich, denn es setzte eine unermessliche Kraft voraus. Da Selkor damals noch keine magischen Gegenstände besessen hatte, war Zauberei die einzige vernünftige Erklärung. Calvyn verschwieg den Meistern seine Überlegungen, denn sie betrachteten die
Zauberei als eine der »niederen Künste«. Für sie wäre es unvorstellbar gewesen, gegen einen so mächtigen und tückischen Magier wie Selkor Zauberei einzusetzen.
»Meister, was soll ich mit dem Stab tun?«, fragte Calvyn.
Jabal rieb sich nachdenklich das Kinn. »Am besten fängst du mit etwas an, wofür du viel Kraft brauchst, was du aber schon beherrschst. Die Formel, mit der du deinen Freund in die Luft gehoben hast, würde sich eignen. Wir wollen einmal sehen, wie das mit dem Stab geht. Aber diesmal nehmen wir keinen Menschen, sondern einen unbelebten Gegenstand, in Ordnung?«
»Gut, Meister.« Calvyn grinste und sah sich nach etwas Geeignetem um. »Etwas Großes oder etwas Kleines?«
»Das ist eigentlich egal«, antwortete Meister Jabal. »Beides hat so seine Tücken.«
»Wie wäre es damit?« Calvyn hob einen faustgroßen Stein auf.
»Damit wird es gehen. Leg ihn auf den Boden und lass ihn knapp über unsere Köpfe steigen.«
»Mit dem Stab?«, fragte Calvyn.
»Noch nicht. Bediene dich vorerst deiner eigenen magischen Mittel.«
Calvyn tat wie geheißen, machte sich ein Bild von dem aufsteigenden Stein und füllte ihn mit den Runen, die bewirkten, dass er leichter wurde als Luft. Der Stein erhob sich vom Boden und stieg auf die gewünschte Höhe. Meister Jabal nickte zufrieden.
»Und jetzt schleuderst du den Stein gegen den Baum da drüben«, wies ihn Jabal an und deutete auf eine alte Eiche. »Gib so viel magische Kraft hinein, wie du nur aufbringen kannst.«
Calvyn sammelte sich, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Wie Perdimonn es ihm einst beigebracht hatte, hielt er sich
das gewünschte Ergebnis vor Augen. Er stellte sich vor, dass der Stein wie von einem mächtigen Katapult abgeschossen gegen den Baum krachte. Der Stein schlug hart gegen den Stamm und hinterließ eine tiefe Schramme in der Borke. Meister Jabal hob überrascht die Augenbrauen.
»Gut! Wirklich sehr gut, Calvyn. Es war zu spüren, dass du sogar der Luft um uns herum die Kraft entzogen hast.«
Jabal ging zum Baum, hob
Weitere Kostenlose Bücher