Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
eigene Vorstellung kontrolliert – zumindest hatte Calvyn dieses Verständnis aus Perdimonns Ausführungen gewonnen. Wenn die Runen also die richtigen waren – und dabei war beinahe unbedeutend, in welcher Reihenfolge sie standen -, würde der Zauber wirken, vorausgesetzt das im Geiste heraufbeschworene passende Bild des gewünschten Ergebnisses war stark genug. An der Akademie wurden zweifellos festgelegte Runenfolgen gelehrt, um eine Einheitlichkeit des Lehrstoffes zu gewährleisten, aber danach, was Calvyn über Magie wusste, waren keine starren Reihenfolgen erforderlich. Die Adepten hier würden wahrscheinlich Zustände kriegen, wenn er von dem magischen Schwert erzählte, das er erschaffen hatte, dachte Calvyn schmunzelnd. Die Geschichte hob er sich lieber für ein anderes Mal auf.
»Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich mal irgendwelche Schwierigkeiten mit meinen Formeln gehabt hätte«, erwiderte Calvyn zurückhaltend. »Aber ich war nicht besonders oft allzu ehrgeizig.«
»Nicht allzu ehrgeizig, das ist gut«, meinte der junge Bursche rechts von ihm lachend. »Er denkt sich einen magischen Spruch zur Translokalisierung aus, aber er war nicht allzu ehrgeizig. Bist du deshalb hierhergekommen? Um genug zu lernen, damit du ehrgeizig sein kannst? Oder weil du deine Zauberkräfte in sicherere, kontrollierte Bahnen lenken willst?«
»Eigentlich bin ich gekommen, um Großmagier Akhdar eine Nachricht zu überbringen. Ich hatte nie vor hierzubleiben,
aber ich muss zugeben, dass die Idee mir jetzt, da mir ein Platz an der Akademie angeboten wurde, immer verlockender erscheint«, erwiderte Calvyn mit einem spitzbübischen Grinsen. »Denn wenn ich euch schon so einen Schrecken einjage, was werde ich dann erst mit den Meistern anstellen können!«
Die meisten Studenten lachten über seine Bemerkung, aber der ältere Mann ihm gegenüber blickte weiter griesgrämig drein.
Das Frühstück erwies sich als herzhafte Mahlzeit, bestehend aus Brot, dicken Schinkenscheiben und Eiern. Dazu gab es ungewöhnlich gewürzten, dampfend heißen Dahl. Nach dem Essen standen alle auf und blieben stumm hinter ihren Stühlen stehen, während einer der Meister einen Lehrplan verlas, der Calvyn unverständlich blieb. Nach den Grimassen der einen und dem Grinsen der anderen zu urteilen, ergab die heruntergeratterte Liste jedoch für alle Umstehenden Sinn. Nach dem Verlesen des Plans schritten zuerst die Magier am Kopfende aus dem Raum, danach setzte sich der Rest in Bewegung.
Lomand tauchte neben Calvyn auf und die Schüler verschwanden rasch. Keiner verweilte einen Augenblick länger als nötig in der Gegenwart des Riesen.
»Aus irgendeinem Grund schüchtere ich sie ein«, erklärte Lomand grinsend, sobald der Letzte gegangen war. »Also, Calvyn, was jetzt? Bleibst du? Oder soll ich einen der Adepten bitten, dein edles Pferd zu satteln?«
Calvyn überdachte noch einmal die Situation. Der König von Thrandor brauchte dringend einen Berater mit einer guten Ausbildung in Magie. Als Ritter des Reichs hatte Calvyn die Pflicht, seinem Land nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen, was auch immer er tat. Wenn er nun an dieser Akademie die offizielle Magie erlernte, würde er Thrandor in der Rolle, die ihm angetragen worden war, besser dienen können.
Calvyn wollte unbedingt Bek und Jez helfen, aber er würde seine Pflicht gegenüber seinem König und seinem Land verletzen, wenn er zu ihrer Rettung loszog. In seiner neuen Rolle als Ritter des Reichs würde er später rechtfertigen müssen, weshalb er seine Freunde über seine Pflicht gegenüber dem König gestellt hatte. Widerwillig schob er die letzten Zweifel beiseite und traf seine Entscheidung. Er würde das Schicksal seiner Freunde in Derras Hände legen. Derra war eine erfahrene Soldatin, eine hervorragende Vorgesetzte und perfekt, um die Rettungsaktion zu leiten.
Offensichtlich hatte Perdimonn gewollt, dass er hier studierte, sonst hätte er Calvyns Aufnahme ja nicht eingefädelt. Der König hatte Calvyn zum Ritter geschlagen und ihm damit die Verantwortung und eine gewisse Freiheit verliehen, schwierige Entscheidungen zum Wohl Thrandors zu treffen. Dies war die erste Entscheidung dieser Art, und Calvyn hoffte inständig, das Richtige zu tun. Natürlich würde die Ausbildung zum Magier ihn besser dafür qualifizieren, König Malo in Angelegenheiten der Magie zu beraten. Doch Calvyn wusste insgeheim auch, dass ihm dies den Vorwand lieferte, nun endlich in Angriff zu nehmen, wonach
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