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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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er nicht.
    Jäh verstummte er in seiner Tirade und schien sich plötzlich nur noch schwer auf den Beinen halten zu können. Doch erst als er sich zur Seite drehte, sahen Rowan und Cassandra den Armbrustbolzen, der in seiner Brust steckte! Nun hielt Cassandra es nicht mehr aus. Sie riss sich von Rowan los, der ihr folgte, jedoch Mühe hatte, ihr auf den Fersen zu bleiben. Hastig kletterte sie vom Turm, eilte durch das offenstehende Tor nach draußen, überquerte die Brücke und lief hinaus auf das Plateau, wo Kathan inzwischen bereits niedergegangen war.
    »Kathan!«
    Sie eilte zu ihm und fiel bei ihm nieder, bettete sein Haupt auf ihren Schoß. »Mein guter Kathan!«
    Atemlos langte auch Rowan bei ihnen an. Ein einziger Blick sagte ihm, dass für den schwarzen Kämpen jede Hilfe zu spät kommen würde. Der Blick seines Auges war gebrochen, seine Miene aschfahl. Der Armbrustbolzen hatte das Kettengeflecht genau auf Höhe des Herzens durchschlagen, zweifellos ein sorgfältig gezielter Schuss.
    »Da … bist du ja.« Als Kathan in Cassandras Züge blickte, glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Ich hatte doch recht.«
    »Wo-womit?«, schluchzte sie, die Tränen nur mühsam unterdrückend.
    »Du hast dich nicht verändert«, erwiderte er. »Du bist noch immer das kleine Mädchen, das …«
    Er verstummte, als ihn eine Welle von Schmerz zu peinigen schien. Sein Körper erbebte, und ein dünner Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel, als er weitersprach.
    »Nicht wahr?«, flüsterte er. »Ich hatte doch recht, oder?«
    »Ja«, erwiderte sie leise und rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. »Du hattest recht.«
    »Kannst du sie hören?«, fragte Kathan. Sein Blick war ziellos geworden, suchte den endlosen Himmel ab.
    »Was meinst du?«
    »Die Vögel, wie sie singen. Überall die Bäume, das Grün. Wir sind im Wald, nicht wahr?«
    »Ja«, bestätigte sie, die Tränen noch immer zurückhaltend, »wir sind im Wald. Du hast mich hergebracht. Wir sind geflohen, weißt du noch? Du hast mich befreit.«
    »Ja.« Er nickte langsam, immer mehr Blut trat über seine Lippen. »Ich habe dich befreit.«
    Cassandra nickte. »Danke«, flüsterte sie leise, fast unhörbar. »Danke, Vater.«
    »Nein«, widersprach er mit ersterbender Stimme, während sich der Blick seines Auges noch einmal auf sie zu fokussieren schien, »ich danke dir, meine … meine Toch…«
    Es war ihm nicht vergönnt, das letzte Wort zu Ende zu sprechen.
    Seine Stimme verstummte, der Wind trug sie davon, während sein Kopf zur Seite fiel.
    Der schwarze Ritter war tot.
    Cassandra beugte sich über ihn, drückte Kathans leblosen Körper an sich und ließ ihren Tränen und ihrer Trauer endlich freien Lauf. Es brach Rowan das Herz, sie so zu sehen, also ging er zu ihr, bückte sich und legte ihr den Arm um die Schultern, auch wenn ihm klar war, dass es nichts gab, womit er sie trösten, womit er ihren Schmerz lindern konnte.
    Plötzlich waren auf dem nackten Stein Schritte zu hören, und ein dunkler Schatten fiel auf sie.
    »Rührend, in der Tat.«
    Rowan und Cassandra schauten beide auf. Vor ihnen stand Mercadier, der Wortbrüchige, die Armbrust noch in der Hand, mit der er Kathan aus der schützenden Menge seiner Untergebenen heraus niedergestreckt hatte.
    »Um ihn trauerst du also?«, fragte er vorwurfsvoll. »Dabei dachte ich, ich hätte dir beigebracht, was einen Sieger von einem Verlierer unterscheidet. Aber ich fürchte, was Dummheit und Leichtgläubigkeit betrifft, hast du tatsächlich mehr mit dem guten Bruder Kathan gemein als mit mir!«
    Damit brach er in ein albernes, seinen toten Gegner verspottendes Kichern aus, das sich langsam in höhnisches Gelächter steigerte und in das nach und nach auch seine Leute einfielen. Mercadier war so sehr damit beschäftigt, sich selbst zu gefallen, dass er nicht mitbekam, wie sich Cassandra von Kathans Leichnam löste und über den Boden kroch, wie sie nach dessen Schwert griff, das herrenlos auf dem Boden liegen geblieben war.
    Auch Rowan begriff erst viel zu spät. Als Cassandra die Waffe fasste und damit aufsprang, konnte er bereits nichts mehr tun.
    »Für Kathan und für Forêt!«, hörte er sie rufen, während sie auf Mercadier lospreschte.
    Und damit hatte er nicht gerechnet, der abtrünnige Templer, der so viele Dinge vorausgeplant, der so ehrgeizige Ziele gehabt und so viele Menschen, nicht zuletzt Cassandra selbst, wie Spielfiguren gelenkt hatte. Er hörte nicht auf zu lachen, als er Cassandra mit tränengeröteten

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