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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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Untersuchungshaft, dem ein nahezu unbeschreibliches Verbrechen (Vergewaltigung und Mord, die Polizei wollte die Behauptung, Mille sei lebendig begraben worden, nicht bestätigen) zur Last gelegt wurde.
    Und wie verkraftet die Lokalbevölkerung eine solche Tragödie, fragte der Interviewer, dass ein ganz normaler Junge, den alle kannten, so eine unfassbare Tat begehen konnte?
    Bente hatte über das Böse gesprochen. Das Böse gibt es überall, aber wir können es gemeinsam bekämpfen. Sie hatte über das Gute gesprochen. Sie hatte über das neue Norwegen gesprochen und auch ein bisschen über das neue Europa. Sie hatte über soziale Netzwerke gesprochen. Was nützt es, wenn wir mit der ganzen Welt kommunizieren und dabei vergessen, miteinander und mit Gott zu kommunizieren. Sie hatte über Trauer gesprochen. Sie hatte über Vergebung gesprochen. Und sie hatte über Einfühlungsvermögen gesprochen. Aber vor allem hatte sie über ihre eigene schwierige Rolle in Situationen wie dieser gesprochen … eine Bürde, die sie nicht ablehnen konnte … für eine Lokalbevölkerung in Schock und Trauer da zu sein.
    Mit ernstem Blick hinter der gestreiften Brille und mit derselben Blumenspange im Haar hatte sie vor der Kirche posiert.
    Und jetzt saßen sie hier, Siri, Jon und Bente, und Bente sagte: »Ich weiß, dass Jenny in ihrer Zeit als Buchhändlerin hier in der Gegend eine große Rolle gespielt hat, weil sie die beste Auswahl an übersetzter Literatur im ländlichen Norwegen vorweisen konnte. Das stimmt doch, oder?«
    Siri kniff den Mund zu und nickte.
    Bente beugte sich über den Resopaltisch und lächelte Jon zu.
    » Jon .«
    Jon fuhr zusammen, als er seinen Namen hörte.
    » Jon «, wiederholte sie. »Sie sind Schriftsteller, nicht wahr?«
    Jon warf Siri einen Blick zu, ihre Nase und ihre Wangen waren hellrot.
    »Ich bin Schriftsteller«, sagte Jon.
    »Ich habe eins Ihrer Bücher gelesen«, sagte Bente. »Es hat mir gut gefallen. Es hieß irgendwas mit Haaren …? … deine Haare? Irgendwas mit Haaren.«
    Sie lächelte entschuldigend.
    »Sie wissen, welches Buch ich meine, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Jon und schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Buch geschrieben, in dessen Titel Haare vorkommen.«
    »Mm«, sagte Bente, »ist das wahr? Oje. Dann verwechsle ich wohl was.«
    »Vielleicht«, sagte Jon und sah Siri an. »Vielleicht könnten wir jetzt über Jenny sprechen und über das, was Sie bei der Beerdigung sagen wollen?«
    »Gern«, sagte Bente. »Und außerdem will ich, dass wir noch ein wenig über die Enkelkinder sprechen. Sie haben doch Kinder, nicht wahr?«
    »Sie heißen Alma und Liv«, sagte Siri tonlos.
    » Alma und Liv «, sagte Bente und lächelte. »Können Sie mir ein wenig von ihnen erzählen, was ihre Oma für sie bedeutet hat?«
    Später dann, in der fast vollbesetzten Kirche, hielten Jon und Siri sich bei der Hand, und während Bentes Predigt drückten sie ihre Hände ganz fest, Jon traute sich nicht, Siri anzuschauen, aber er spürte ihre Wut und ihre Trauer. Und auch ihre Angst. Er spürte ein Zittern unter ihrer Haut. Als er an der Reihe war, musste er ihr mühsam seine Hand entziehen. Er stand auf und ging zum Altar, glaubte, Siris Blick auf sich zu spüren. Einen Augenblick lang verharrte er neben dem Sarg, bevor er zum Rednerpult ging und sich räusperte.
    »Ich habe versucht, die Worte zu übersetzen«, sagte er. »Aber es ist mir nicht sehr gut gelungen. Darum lese ich sie im Original. Strindberg muss man auf Schwedisch lesen. Der Auszug stammt aus dem Buch Einsam , und ich beginne mitten im Satz, ich glaube, das hätte Jenny gefallen.«
    Er lächelte. Dann las er:
    … doch hatte ich beobachtet, daß man nicht so rasch lächelte wie früher und eine gewisse Vorsicht beim Reden anwandte. Man hatte Macht und Wert des gesprochenen Worts entdeckt. Das Leben hatte zwar das Urteil nicht gemildert, aber die Klugheit hatte schließlich gelehrt, daß alle Worte dem Sprecher zurückgegeben werden; man hatte auch eingesehen, daß die Menschen nicht ganzen Tönen glichen, sondern daß man Halbtöne anwenden müsse, um seine Meinung über einen Menschen einigermaßen genau auszudrücken.
    Nach der Beisetzung lud Siri alle zu einem einfachen Essen in die alte Bäckerei, und als Jon und Siri und die Kinder an diesem Oktoberabend nach Mailund zurückspazierten, die lange Straße hinauf zum Haus, sagte Jon: »Was würde Jenny jetzt wohl sagen, wenn wir sie hören könnten?«
    »Ich glaube, sie sagt: Krieg ist

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