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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ist?«
    »Mary-Evelyn Devereau. Was mit ihrer ist, weiß ich nicht. Aber an meiner war anscheinend Ree-Jane dran.«
    »Na, siehst du.«
    »Glaubst du, sie war’s?«
    »Könnte sein. Schließlich ist sie eifersüchtig auf dich, es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass sie dich verunsichern will.«
    »Eifersüchtig. Auf mich ?«
    Dwayne wandte sich mit einem überraschten Blick zu mir her. »Willst du mir etwa weismachen, das weißt du nicht? Meine Güte, du bist x-mal schlauer als sie, und das weiß sie. Eine Karriere als Reporterin ist dir so gut wie sicher, was sie wahrscheinlich wirklich auf die Palme bringt. Und du bist hübscher. Klar ist sie eifersüchtig.« Er kramte sein Geld heraus.
    Ich saß da und staunte Bauklötze.
    »Komm, ich muss wieder zurück zu dem Mercedes.« Er ließ ein Trinkgeld auf der Theke liegen. »Einige von uns müssen sich ihren Lebensunterhalt verdienen.«
    Ich rutschte vom Hocker. » Ich muss mir meinen Lebensunterhalt auch verdienen«, schimpfte ich.
    »Ach ja. Bestimmt.«
    Und so stritten wir auf dem ganzen Weg über die Gleise und den Highway hin und her, wer sich hier seinen Lebensunterhalt verdienen musste.
    Eigentlich wollte ich ja lieber drüber reden, dass ich hübscher war als Ree-Jane.

11. KAPITEL
    »Eeb oohl nd eip aalt …«
    Ich saß bei Brittens Laden auf der Bank und hörte Ulub bei seinen Sprachübungen zu.
    »Als Erstes bemerken die Leute, wie deutlich man spricht. Zum Beispiel ›geben‹ statt ›gebn‹.«
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, »geben« war Lichtjahre von Ulubs Problem entfernt. Ich glaube nicht, dass es bei ihm allein ums Nuscheln ging.
    Nach dem Besuch bei Dwayne war ich hierhergekommen. Um Ulub bei seiner Sprachübungsstunde nicht im Weg zu sein, saß ich geduldig da und versuchte, seine Wörter zu verstehen, bevor Mr Root dazwischenplatzte und übersetzte. Ganz besonders stolz war Mr Root darauf, dass er der Einzige von uns war, der Ulub verstehen konnte.
    Ubub konnte seinen Bruder verstehen, das kam aber davon, dass er ihm schon ein Leben lang zugehört hatte. Ububs Sprechweise war zwar nicht gerade die von Roosevelt oder Winston Churchill, aber auch nicht so schlimm wie die von Ulub.
    Mr Root deklamierte: »Bleib kalt, junges Obststück! Leb wohl und bleib kalt.« Er wandte sich mir zu. »Klingt mir trotzdem nach einem blöden Ratschlag.«
    Blöder Ratschlag? Wovon redete er?
    Wieder zu Ulub: »Also, sag das mal, Ulub.« Mr Root hielt die Hände so, als wollte er ein Symphonieorchester dirigieren.
    »Ong …«
    »›Jung, jung , Obststück …‹«
    »Or … Orstü …«
    Mr Root schüttelte den Kopf. »Na ja, ›Obststück‹ ist ja auch ein ziemlich schweres Wort. Probieren wir’s erst mal mit ›Fürcht fünfzig Grad kalt nicht wie fünfzig Grad warm.‹ Okay? ›Fürcht‹, ›Fürcht fünfzig …‹«, und herunter sauste seine Hand im Takt.
    »Ücht. Ücht ünzii.«
    Ich konnte keine Verbesserung hören, Mr Root allerdings offenbar schon, jedenfalls tat er so, denn er patschte Ulub auf den Rücken und sagte, er würde ja schon viel besser. Auf der Bank lag ein kleines Notizbuch. Das nahm Mr Root und notierte mit Bleistift etwas hinein. »Du kriegst heute gute Noten, Ulub.«
    Ich hoffte, er erteilte Ulub nicht tatsächlich Zensuren. »Wie heißt denn das Gedicht, Mr Root?«, erkundigte ich mich.
    Er nahm Ulub das Buch weg. Es war ein Taschenbuch, nicht besonders dick. Ich sah, dass es sich um Gedichte von Robert Frost handelte. »Aber ich dachte, Sie mögen Robert Frost nicht. Sie waren total gegen ›Rast am Wald an einem verschneiten Abend‹. Wissen Sie noch?«
    »Ach ja, das da. Er hat aber auch ein paar gute geschrieben. Ich setze die zwischen die von Emily rein, weißt du, damit Ulub sich ausruhen kann.« Mr Root räusperte sich und intonierte in einer Art Singsang:
    Dies sagen: Leb wohl an der Dunkelheit Rand …
    Sie schloss mir die Augen, diese Zeile, es war, als würde eine Hand darüberstreichen. »Oh«, sagte ich.
    »Was?«
    »Nichts.«
    Er las weiter, obwohl ich immer noch dort hinten war, an der Dunkelheit Rand.
    Dann kam er zu einem anderen Vers:
    Ich wünscht, ich läg nachts einst – mehr wünschte ich nicht,
    Und dächt an ein baum-rei-ches Obststück in Sicht,
    Wenn langsam (und niemand kommt mit einem Licht)
    Das Herz tiefer sinkt in den Rasen hinein.
    Wieder klappten meine Augen zu. Noch nie hatte ich etwas so furchtbar Trauriges gehört. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht loszuweinen. Ich sah es fast vor mir: die

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