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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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sagte: »Bring das Essen rein, bevor es kalt wird.«
    Das ignorierte ich. »Seine Theater arbeit? Und was ist mit meiner Zeitungs arbeit? Warum engagiert ihr nicht jemand, der mich im Speisesaal vertritt?«
    »Du bist unentbehrlich.« Sie lächelte gekünstelt durch den Rauch.
    Ich lächelte gekünstelt zurück. »Warum braucht es überhaupt jemand, der die Koffer trägt? Wir kriegen doch eh kaum Gäste, und die meisten tragen ihr Gepäck selber.«
    »Will ist nicht komplett aus dem Schneider. Der soll Hotelconcierge werden. Falls Gäste mal Fragen haben.«
    Concierge? Will? »Die einzige Frage, die der beantworten kann, ist: ›Wo ist die große Garage?‹ Wo kommt der her, dieser Ralph? Wir haben doch seit Jahren niemand Neues engagiert.«
    Meine Mutter guckte bloß grimmig auf den Teller, der immer noch auf dem Tablett stand. »Das Essen wird kalt.«
    Wütend stemmte ich das Tablett hoch, marschierte in den Speisesaal und stellte Miss Bertha den cayennegepfefferten Käsetoast hin. Dann trat ich an ein Fenster, um grübelnd hinauszustarren.
    Ich ärgerte mich dermaßen darüber, dass Will von seinen Pflichten im Hotel entbunden war – und auch noch ausgerechnet durch diesen nagelneuen Ralph da –, dass es mir fast entging, als Miss Bertha »Wasser! Wasser!« schrie.
    Sollte sie ruhig brennen.

13. KAPITEL
    Ich war schon aus dem Speisesaal und zur Seitentür hinaus, auf der heißen Spur von Ralph Diggs.
    Da ich ihn hinten nicht mehr sah, vermutete ich, dass er in die Garage gegangen war, um vom Concierge des Hotels Paradise heiße Tipps zum Thema Pagenarbeit zu bekommen.
    Pech für Ralph oder Rafe, aber Wills wahre Arbeit bestand im »Bezirzen«, im Bezirzen der Gäste nämlich, vor allem wenn es Ärger gab.
    Wie etwa vor ein paar Wochen, als er für die Aufführung von Medea, das Musical noch ein Kind für die Summerinnen suchte. Er hatte ein kleines Mädchen entdeckt, das mit einem Schläger auf dem Krocketplatz herumgeirrt war und nicht wusste, wo oder vielleicht eher, wer es war. Also hatte Will die Kleine kurzerhand in die große Garage gelotst, ohne zu bedenken (oder sich drum zu scheren), dass ihre Eltern bestimmt fieberhaft nach ihr suchten.
    Es stellte sich raus, dass sie Bessie hieß und »seit Stunden vermisst« wurde. Will und Mill wurden mit Bessie im Schlepptau zur Rezeption zitiert. Die Eltern waren kreidebleich im Gesicht. Ob Will sich entschuldigte? Natürlich nicht. Er umging das ganze Thema, indem er Bessies Mom und Dad erzählte, was für eine sagenhafte Bühnenpräsenz ihre Tochter doch hätte und dass ihr eine echte Zukunft im Theater blühte. Dies alles wurde mit dem breitesten Lächeln serviert. Da Bessie, die erst vier war, ungefähr ebenso viel Bühnenpräsenz hatte wie Paul, war es ein Wunder, dass die Eltern ihm diesen ganzen Quatsch überhaupt abkauften.
    Er konnte die Leute eben bezirzen, mehr war das nicht.
    Es machte mich wirklich wütend. Will hatte diese Gabe und ich nicht. Ich war die, die sich abrackerte ; ich war die, die es nicht anders verdiente; ich war die, die fast umgebracht worden wäre.
    Während ich den Kiesweg entlang zur großen Garage knirschte, fiel mir ein schwarzer Chevy Coupé auf, der am Randstein geparkt stand. Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir heute wie üblich keine neuen Gäste bekämen, und fragte mich, wem der wohl gehörte.
    Verwundert stellte ich fest, dass das Garagentor offen stand. Offen . Das war, wie wenn man die Himmelspforte unbewacht von Sankt Petrus vorfindet, so dass jeder Hirnverbrannte einfach hereinspazieren könnte. Hinten in der Ecke waren Will, Mill und der Kerl, von dem ich annahm, dass es sich um Ralph Diggs handelte.
    Ralph war einige Jahre älter als Will und Mill, also über zwanzig. Manche Mädchen würden ihn wohl als »süß« bezeichnen: Er hatte blondgelocktes Haar, eine gerade Nase und haselnussbraune Augen. Er war größer als Will.
    Als wir einander vorgestellt wurden, er als »Rafe«, ich als »Emma« (mein Name ist ja gegen jede schicke Aussprache resistent), sagte ich: »Ralph, oder?«
    Sein Lächeln war schief, und er bedachte mich mit einem Splitterblick, als hätte sich die Iris in lauter winzige Scherben von Grün, Blau und Braun zerteilt.
    Will antwortete an seiner Stelle. Offenbar sollte Ralph Diggs nicht mit der Beantwortung von Fragen belästigt werden. »Rafe übernimmt als Frontmann für mich«, sagte Will.
    »Ach, und wo gehst du hin?«
    »Tu nicht so blöd. Nirgends. Ich werde der neue Hotel concierge .

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