Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
ablehnte. Ich hob das Tablett hoch wie Father Freeman den Abendmahlskelch (aus dem ich nie gekostet hatte, da ich nicht katholisch war) und marschierte mit dem Essen in den Speisesaal.
    »Du weißt doch, dass ich die Dinger nicht esse!« Sie versetzte dem Windrädchen einen leichten Schubs und hinterließ einen Fingerabdruck in der Käsesoße. »Bring was anderes.« Sie lehnte sich zurück, jedenfalls so weit, wie ihr Buckel es gestattete.
    Mrs Fulbright nahm ihren Teller natürlich mit einem angenehm überraschten Blick in Empfang.
    Ich sagte zu Miss Bertha: »Eine Portion von der Lauchpastete mit Aal ist noch da.«
    »Was? Aalpastete? Lächerlich. Jen Graham hat doch noch nie im Leben einen Aal gekocht.«
    Da sagte Mrs Fulbright: »Bertha, das weißt du doch gar nicht.«
    »Natürlich weiß ich es! Sei doch nicht närrisch.«
    Mrs Fulbright nahm einen Bissen von ihrem Windrädchen und erklärte es für köstlich. »Die Käsesoße magst du doch, Bertha.«
    Man müsste sich schon die Geschmacksknospen aus dem Mund brennen lassen, um die nicht zu mögen.
    Miss Bertha verlangte etwas anderes mit Käsesoße.
    »Die können Sie ja über dem Aal haben.« Das war die ekligste Art, es auszudrücken, die mir spontan einfiel.
    Sie verzog das Gesicht, obwohl man sagen könnte, dass Miss Berthas Gesichtszüge eigentlich immer verkniffen wa ren.
    Ich schaute das Paprikapulver an, das über die Käsesoße gestreut war, und lächelte. Ich hatte zur Abwechslung mal sofort die perfekte Lösung. »Käsetoast«, sagte ich.
    Miss Bertha musterte mich argwöhnisch, doch ich setzte eine Unschuldsmiene auf und meinte nur mit anteilnehmender Stimme: »Auf weißem oder auf Vollkorntoast, Miss Bertha?« Dazu klimperte ich ein bisschen mit den Wimpern.
    »Weiß. Und ein Ei will ich, ein hartgekochtes, in Scheibchen geschnittenes Ei auf den Toast und über das Ganze dann die Soße.«
    »Kommt sofort!«, sagte ich munter.
    »Ach, du liebe Güte«, sagte meine Mutter. Sie knallte ihr Küchenmesser hin, stapfte zum Kühlschrank und holte eine Schüssel mit hartgekochten Eiern heraus. »Walter, schäl mir eins unter fließendem Wasser. Dann geht die Schale besser ab.«
    Walter trottete herüber, nahm das Ei und tat wie geheißen. Ich nahm den Cayennepfeffer aus dem kleinen Gewürzregal und versteckte ihn summend hinter dem Rücken, während ich meiner Mutter dabei zusah, wie sie das Ei in Scheiben schnitt. Während ich wartete, drehte ich mich um (verlagerte dabei den Cayenne nach vorn) und schaute durchs Küchenfenster zur hinteren Tür am anderen Hotelflügel hinüber. Ein Mann trat heraus und ging in Richtung Cocktailgarten. Ob er alt oder jung war, konnte ich nicht erkennen.
    »Wer ist das?«
    »Wer?«
    Ich seufzte. »Keine Ahnung, sonst würde ich doch nicht fragen.« Der Toast hüpfte etwa eine Meile hoch, und meine Mutter knallte ihn hin und schnitt die Kruste weg. Dabei schaute sie ungefähr in die Richtung der hinteren Tür. »Ich seh keinen.«
    »Na, jetzt nicht mehr. Da kam ein Kerl in Hemdsärmeln raus und ging dann dort hinten hoch. So ein Hellhaariger.«
    »Ach, das ist Ralph.« Sie arrangierte die Eierscheibchen auf dem Toast und griff nach der Käsesoße.
    Ach, das ist Ralph? Als ob Ralph schon jahrelang ihr Sous-Chef wäre und außerdem noch die Buchhaltung machte und Martinis mixte. »Und wer ist Ralph?« Unter der Anrichte hielt ich das kleine Cayennedöschen bereit. In der anderen Hand auf der Anrichte hatte ich das Paprikapulver. »Einem Ralph bin ich hier noch nie begegnet.«
    »Ralph Diggs. Er nennt sich ›Rafe‹. So sprechen die Engländer Ralph aus. Damit es sich auf ›Safe‹ reimt.« Sie goss die Käsesoße über das Ganze, und ich hielt demonstrativ das Paprikapulver hoch. »Mir ist der eigentlich ziemlich egal.«
    Obwohl ich vor Ungeduld fast überschnappte, gelang es mir, als meine Mutter sich gerade umdrehte, mit dem Cayennestreuer ein paar Mal über die Soße zu gehen. Als sie sich wieder herdrehte, stellte ich das unschuldige Paprikapulver auf die Anrichte. »Na, mir wäre er wahrscheinlich auch egal, wenn ich wüsste, wer er ist. Wer ist er denn?«
    »Mrs Davidow hat ihn zum Koffertragen und allgemein als Aushilfe engagiert.«
    »Aber Will , Will ist doch der Kofferträger und Hotelpage.« Für den Fall, dass sie ihren Sohn und seine Rolle im Hotel vergessen hatte.
    »Will ist viel zu beschäftigt mit seiner Theaterarbeit.« Sie schüttelte sich eine Zigarette aus einem Päckchen Kools, zündete sie an und

Weitere Kostenlose Bücher