Das Versprechen
sich zu den Kindern.
»Er ist nur müde«, sagte Lou. »Er ist das nicht gewohnt.«
»Kann nich’ sagen, dass ein Körper sich je an harte Arbeit gewöhnt.« Louisa wuschelte ebenfalls durch Oz’ Haar. Es schien, als berührten die Leute den Kopf des Jungen gern.
Vielleicht, weil es ihnen Glück bringen sollte.
»Ihr habt gut gearbeitet. Wirklich. Ihr wart tüchtiger als ich in euerm Alter. Und ich kam nich’ aus der großen Stadt. Das macht’s schwerer, nicht wahr?«
Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Windstoß fuhr ins Zimmer. Eugene sah besorgt aus. »Kalb kommt!«
In der Scheune lag die Kuh namens Purty auf der Seite und wälzte und rollte sich in einer großen Kalbungsbox in den Wehen hin und her. Eugene kniete nieder und hielt sie fest, während Louisa sich hinter sie hockte und mit den Fingern tastete, wobei sie auf die Ankunft des klebrigen Bündels Kalb hoffte. Eine harte Schlacht stand bevor, denn das Kalb hatte anscheinend beschlossen, jetzt noch nicht das Licht der Welt erblicken zu wollen. Doch Eugene und Louisa zogen es hinaus, eine glitschige Masse aus Gliedmaßen. Die verquollenen Augen waren fest zugekniffen. Der Vorgang war blutig, und Lous und Oz’ Mägen machten einen weiteren Satz, als Purty ihre Nachgeburt fraß, doch Louisa erklärte ihnen, das sei ganz normal. Dann leckte Purty ihr Baby ab und hörte erst damit auf, als ihm alle Haare abstanden. Mit Eugenes Hilfe richtete das Kälbchen sich auf seinen wackeligen Stelzenbeinen auf, während Louisa Purty auf den nächsten Schritt vorbereitete, den ein Kalb als die natürlichste Sache der Welt hinnahm: das Säugen. Eugene blieb bei der Mutter und ihrem Kälbchen, während Louisa und die Kinder zurück ins Haus gingen.
Lou und Oz waren gleichermaßen aufgekratzt und erschöpft. Die alte Pendeluhr zeigte fast Mitternacht.
»Ich hab noch nie gesehen, wie ’ne Kuh geboren wird«, sagte Oz.
»Du hast überhaupt noch nie gesehen, wie was geboren wird«, sagte seine Schwester.
Oz dachte darüber nach. »Doch, hab ich wohl. Ich war dabei, als ich geboren wurde.«
»Das zählt nicht«, schoss Lou zurück.
»Und ob«, konterte Oz. »Das war ’n hartes Stück Arbeit. Hat Mom mir gesagt.«
Louisa legte ein Scheit nach, schob es mit einem eisernen Schürhaken tiefer ins Feuer und kehrte dann zu ihrer Näharbeit zurück. Die Hände der alten Frau mit ihren dunklen Adern und gichtigen Knoten arbeiteten langsam, aber präzise.
»Ihr beide müsst jetzt aber schlafen gehen.«
»Ich geh noch kurz zu Mom rein«, sagte Oz. »Muss ihr von der Kuh erzählen.« Er schaute Lou an. »Mein zweites Mal!«, krähte er und war verschwunden.
Seine Schwester machte keine Anstalten, die behagliche Nähe des Feuers zu verlassen.
»Lou, sieh doch auch nach deiner Ma«, sagte Louisa.
Lou starrte in die Abgründe des Kohlenfeuers. »Oz ist zu jung, um zu verstehen. Aber ich verstehe es.«
Louisa ließ das Nähzeug sinken. »Was verstehst du?«
»Die Ärzte in New York haben gesagt, dass mit jedem weiteren Tag die Chance geringer wird, Mom wieder zurückzuholen. Und es ist jetzt schon zu lange her.«
»Trotzdem darf man die Hoffnung nie aufgeben, Schatz.«
Lou drehte sich um und sah sie an. »Du verstehst es auch nicht, Louisa. Unser Dad ist tot. Ich hab ihn sterben sehen. Mag sein« - Lou schluckte heftig -, »mag sein, dass ich mit der Grund war, dass er tot ist.« Sie rieb sich die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. »Und es ist ja nicht so, dass Mom da liegt und gesund wird. Ich hab die Ärzte gehört. Ich hab alles gehört, was die Erwachsenen über sie sagten, auch wenn sie versucht haben, es mir zu verheimlichen. Als ob es mich nichts anginge! Die Ärzte haben uns nur deshalb erlaubt, Mom nach Hause zu holen, weil sie nichts mehr für sie tun konnten.« Sie hielt inne, atmete tief ein und beruhigte sich langsam wieder. »Und du kennst Oz einfach nicht. Er setzt so sehr auf die Hoffnung, macht verrückte Sachen. Und dann ...« Lous Stimme erstarb, und sie schaute zu Boden. »Bis morgen.«
Im Schein der Laterne und des flackernden Feuers konnte Louisa dem jungen Mädchen nur nachblicken, als es sich mühsam davonschleppte. Als ihre Schritte verklungen waren, nahm Louisa die Nähsachen erneut zur Hand, aber die Nadel wollte sich nicht mehr so recht bewegen.
Als Eugene hereinkam und zu Bett ging, saß sie noch immer so da. Das Feuer war herabgebrannt, während Gedanken sie verzehrten, die genauso viel Demut in ihr hervorriefen wie die Berge
Weitere Kostenlose Bücher