Das Versprechen
wusste.
Es hatte eine Läuseplage in Big Spruce gegeben, und sowohl Lou als auch Oz hatten Kopfwäschen mit Petroleum über sich ergehen lassen müssen. »Kommt dem Feuer bloß nich’ zu nah«, hatte Louisa danach gesagt.
»Das ist ja ekelhaft«, beschwerte sich Lou und fingerte in den klebrigen Strähnen herum.
»Als ich in der Schule war und mir Läuse geholt hab, ha’m sie mir Schwefel, Schweinefett und Schießpulver ins Haar geschmiert«, erzählte Louisa. »Ich könnt meinen eigenen Gestank nich’ ertragen und hatte schreckliche Angst, jemand könnte ’n Streichholz anzünden und mein Kopf würd explodieren.«
»Als du klein warst, gab es schon eine Schule?«, fragte Oz.
Louisa lächelte. »Damals sagte man Spendenschule dazu, Oz. Ein Dollar im Monat, für je drei Monate im Jahr, und ich war eine richtig gute Schülerin. Wir waren an die hundert Kinder in ’nem Holzschuppen mit nur einem Raum. Er hatte ’nen Dielenboden, der an heißen Tagen spliss und an kalten Tagen gefror. Der Lehrer war mitm Stock schnell bei der Hand, und ein ungezogener Schüler musste ’ne gute halbe Stunde auf Zehenspitzen stehn und die Nase in einen Kreis stecken, den der Lehrer auf die Tafel gemalt hatte. Ich musste nie auf Zehenspitzen stehn. Ich war zwar nich’ immer brav, aber sie ha’m mich nie erwischt. Manche Schüler waren erwachsene Männer, die gerade erst ausm Krieg heimgekehrt waren und ’n Arm oder Bein verloren hatten und nun Rechnen und Schreiben lernen wollten. Die ha’m die Wörter immer laut vor sich hingesprochen. So laut, dass der verdammichte Lärm die Pferde erschreckt hat.« Ihre haselnussbraunen Augen funkelten. »Ich hatte ’nen Lehrer, der die Zeichnung vom Fell seiner Kuh benutzte, um uns Erdkunde beizubringen. Bis heute kann ich keine Landkarte anschauen, ohne an das verdammichte Tier zu denken.« Sie schaute die Kinder an. »Aber eigentlich ist es egal, wo man lernt. Hauptsache, ihr lernt, was ihr lernen müsst. Genau, wie ’s euer Pa getan hat«, fügte sie hinzu, vor allem, um Lous willen, und tatsächlich beklagte das Mädchen sich nicht mehr über ihr Petroleumhaar.
KAPITEL 18
Eines Morgens erbarmte sich Louisa und gab Lou und Oz den Samstag frei, einen wohlverdienten und bitter nötigen Tag, an dem sie tun konnten, wozu sie Lust hatten. Das Wetter war herrlich; ein leichter Wind wehte von Westen unter einem blauen Himmel, und die in vollem Grün stehenden Bäume wogten in der Brise. Diamond und Jeb kamen sie abholen, weil Diamond ihnen einen ganz besonderen Ort in den Wäldern zeigen wollte, und so zogen sie los.
Diamonds Äußeres war praktisch unverändert: derselbe Overall, dasselbe Hemd, keine Schuhe. An seinen Fußsohlen mussten längst sämtliche Nerven abgestorben sein, sagte sich Lou, denn sie sah, wie Diamond über scharfe Steine, Disteln und sogar durch ein Dornengebüsch lief, und nicht einmal sah sie Blut oder ihn auch nur zusammenzucken. Er trug eine speckige Kappe, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Lou fragte ihn, ob sie seinem Vater gehörte, erhielt aber nur ein unwilliges Grunzen zur Antwort.
Sie gelangten zu einer hohen Eiche, die auf einer Lichtung stand; zumindest hatte man dort das Unterholz etwas weggeschlagen. Lou bemerkte, dass zugesägte Holzstücke in den Stamm genagelt worden waren und eine primitive Leiter bildeten. Diamond setzte einen Fuß auf die erste Sprosse und stieg hinauf.
»Wo willst du hin?«, fragte Lou, während Oz Jeb festhielt, weil der Hund Anstalten machte, seinem Herrchen auf den Baum zu folgen.
»Den lieben Gott besuchen«, rief er zurück und zeigte nach oben. Lou und Oz schauten in den Himmel.
Hoch über ihnen lagen einige geglättete Fichtenäste nebeneinander auf den dicken Ästen der Eiche und bildeten einen Boden. Eine Segeltuchplane war über einen starken Zweig geworfen worden, und die Seiten waren mit Tauen an den Bodenhölzern festgezurrt, sodass das Ganze den Eindruck eines Zeltes hervorrief. Das Baumhaus versprach zwar einiges an Vergnügen, sah aber auch so aus, als könnte ein kräftiger Windstoß es zu Boden fegen.
Diamond bewegte sich mit geschmeidiger Anmut und war schon zu drei Vierteln oben.
»Nun kommt schon«, sagte er.
Lou, die lieber einen qualvollen Tod gestorben wäre, als einzugestehen, dass irgendetwas über ihre Kräfte ging, setzte einen Fuß auf eine Sprosse und ergriff eine andere. »Du kannst ja unten bleiben, wenn du willst, Oz«, sagte sie. »Wir bleiben sicher nicht lange da oben.«
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