Das Versprechen des Architekten
dieser Dachsschriftsteller dort für Modráčeks unterirdisches Theater geschrieben hat. Das heißt, er hat sich mit Doktor Štefl an der Niederschrift des Stücks beteiligt.
Wahnsinn!
Und nicht nur Theater. Der Herr Architekt hat sich einundzwanzig Leutchen geschnappt und musste sich folglich jetzt um sie kümmern. Er war regelrecht besessen davon, sieda unten nicht nur irgendwie zu beschäftigen, sondern eine autarke Welt mit allem Drum und Dran für sie zu schaffen. Das heißt, mit
allem
Drum und Dran kaum. Aber wenigstens mit diesem und jenem. Zum Beispiel hielt er dort für sie Vorträge über die Brünner Architektur.
Wie erhebend!
Jeder musste etwas beitragen. Also Doktor Štefl hatte dort medizinische Aufklärungsvorträge. Doktor Pešek wiederum etwas wie eine Rechtsberatungsstelle. Er half dort allen, ihre alten Zivilprozesse zu lösen. Alle waren nämlich durch ihre Gefangenschaft im Untergrund nicht nur aus ihrem Leben herausgerissen worden, sondern auch aus ihren zivilen Rechtssachen. Jeder von uns ist im Leben in irgendetwas verwickelt, und dort bekamen sie die Chance, sich langsam und in aller Ruhe aus allem rauszuwursteln.
Na, das hat ihnen echt viel gebracht …
Denk’ ich auch. Und zusätzlich hat Modráček in den Antiquariaten auch noch gute Bücher für sie aufgetrieben. Und ihnen täglich Zeitungen mitgebracht, damit sie sehen, dass dort oben eine böse, perverse Welt ist, der entronnen zu sein, sie froh sein können.
Ich möchte darauf hinweisen, sagte Petra beim Abräumen der Teller und Tassen, dass wir noch nicht einmal bis zum zehnten Mieter gekommen sind.
Gut, die zehnte, Alžběta Hajná, Juwelierin und Uhrmacherin. Der elfte, Karel Klenovský. Eine sehr wichtige Figur, die dort am Ende eine sehr wichtige Rolle spielen wird. Eine Pfaffenkappe nämlich. Na, nicht der giftige Strauch.
Also ein Priester. Eine irre Kombination. Ein Polizist, ein Priester, ein Arzt, ein Privatdetektiv beziehungsweise auch Polizist, ein Advokat, ein Schriftsteller und zugleich Arbeiter in der Waffenfabrik, ein Schauspieler, eine Juwelierin und Uhrmacherin, Modráčeks „unsichtbare Frau“ und zugleich Zahnärztin, sie war doch Zahnärztin, oder? Ein Verkäufer von Brett-und anderen Spielen … Aber ich weiß noch immer nicht, was diese Irena gewesen ist.
Eine Hure. Eine Nutte. Ein gemeines Luder.
Also Vorsicht, brems dich ein. Durfte denn damals in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre und im puritanischen kommunistischen Totalitarismus Prostitution betrieben werden?
Na und wie. So wie nie zuvor. Das ganze Volk – außer ein paar Outsidern und Sonderlingen und außer den Gefangenen in den Arbeitslagern – das ganze Volk hat sich prostituiert. Aber du fragst nach Straßen-und Hotelnutten. Also von denen gab’s genauso viele wie heute. Siehe die statistischen Gesetzmäßigkeiten nach der Gauß’schen Glockenkurve: In jeder Zeit und in jeder statistisch erfassbaren Gesellschaft gibt es immer den gleichen Prozentsatz an Genies, Idioten und Nutten. Nur hat das damals ein bisschen anders funktioniert. Die Nutten standen großteils auch in den Diensten der Stasi. Sie vögelten fröhlich mit Ausländern und dienten dabei dem sozialistischen Vaterland.
Luděk zündet sich seine erste Morgenzigarette an und setzt sich an den Computer und schaut sich die Post an und löscht Spams. Sieht ganz nach einem schönen Tag aus.
IN LUŽÁNKY
Sie gehen an den Tennisplätzen vorbei und betreten den Park, wo sie von einem Spitzahorn und einer Douglasfichte begrüßt werden.
Damit wir uns richtig verstehen, erklärt Luděk, Irena war keine Hure in dem Sinn, dass sie für Geld gevögelt hätte. Sie war Beamtin im Stadt-Nationalausschuss, in der Bauabteilung. Aber sie hatte die perfekte Ausstattung eines gemeinen Luders. Fantastisch schön und zugleich überdurchschnittlich intelligent. Und dabei die emotionale Seite wie ausradiert und stattdessen moral insanity. Und dazu praktizierte sie Sodom und Gomorrha sozusagen als Ganztagsjob. Und dabei war das, was sie an Sex interessierte, eigentlich nicht der Sex. Ein Psychoanalytiker würde unter Umständen sagen, dass es der Todesinstinkt war. Modráček und der Schriftsteller Hrach hatten sich auch so eine Art „Dekameron“ ausgedacht. Jeden Dienstag versammelten sich dort alle, und wer an der Reihe war, erzählte was aus seinem Leben. Aber bei dem, was Irena vor ihnen von sich gab, lief allen ein Schauer über den Rücken wie ein durchgegangener Stier über die
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