Das Versprechen des Architekten
Gemeindewiese.
Das Aufschlagen der Bälle von den Tennisplätzen wird hier gedämpft von den dichten Kronen all dieser Buchen, Hainbuchen, Ahorne, Platanen, Tannen, Eichen, Eschen, Ulmen, Kastanien, Fichten, Eiben, Nussbäume, Linden, Pappeln und einer Menge kostbarer Gehölzer. An manchen Stellen bilden diese Edelhölzer geschlossene Reihen, anderswo aber treten sie in versprengten Haufen auf, eine Wirkung entfaltend wie die plastische Karte eines großenSchlachtfelds, wie das Bild einer unsterblichen mythischen Szene, die sich irgendwo zu Anbeginn der Menschheitsgeschichte abgespielt hat, in Naturszenen jedoch immer wieder zurückkehrt, einmal zum Beispiel in einer Wolkengruppe am Himmel, dann wieder im Blick aus einem Fesselballon auf den großen Stadtpark.
Heute, machte Luděk seinem Herzen Luft, ist Sex für die meisten Menschen nur so ein kitzelndes Spiel, ach, die unerträgliche Leichtigkeit des Vögelns, wohingegen damals, zu Beginn der Fünfzigerjahre, als noch die alten religiösen Tabus funktionierten und zugleich auch schon die neuen, puritanischen kommunistischen Tabus, Sex noch etwas Schicksalhaftes gewesen ist. Und für die meisten schon zum letzten Mal in unserer Geschichte. Das Tabu hat den Sex nämlich in unter der Oberfläche glühende Lava verwandelt und die Erde bebte über diesem Lavastrom …
Pass auf, Luděk!, schrie Petra. Na, schon zu spät. Wisch dir hier den Schuh ab.
Diese Menschenviecher, beschwerte sich Luděk. Sie bücken sich nicht, um den Dreck ihrer tierischen Gefährten aufzuräumen. Und das Antlitz von Lužánky ist dann von Furunkeln verunstaltet. Beziehungsweise Geschwüren, um Fremdwörter zu vermeiden. Wo bin ich stehen geblieben?
Petra: Die glühende Lava des Sexes strömte unter der Oberfläche und die Erde bebte.
Genau. Lassen wir jetzt beiseite, was Freud wie Jung ebenfalls als Symptome für das Vorhandensein glühender Sexlava bezeichnen würden, nämlich die Hysterie der politischenProzesse. Aber du weißt, dass es kein Zufall ist, dass der schlimmste tschechische Sexualmörder, Václav Mrázek, gerade mit jener Zeit untrennbar verbunden ist. Er hat sein Unwesen in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre getrieben, und hätte nicht ein ausgesprochener Zufall mitgespielt, hätten sie ihn nie gekriegt. Jetzt können wir das Gefühl haben, dass wir noch nie zuvor durch solch eine Menge gefährlicher sexueller Perverser wie heute von uns reden gemacht haben. Aber damals war einfach ein ganz striktes Embargo auf Informationen über ungeklärte Sexualdelikte verhängt. Das Volk durfte in seinem Aufbaueifer nicht beunruhigt werden. Und die absolute Mehrheit der Sexualmorde aus der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre ist ungeklärt geblieben. Und auf der anderen Seite war Sex damals für unsereins der einzige zugängliche Weg der Freiheit, den die puritanischen Genossen (und ihre Straßenkomitees) nicht überwachen konnten. Ich will dich an Daniel Kočí mit seiner Meli, dieser melierten Mieze, erinnern. Und ich erinnere dich ferner daran, dass sie verheiratet und noch dazu aus einer bigotten katholischen Familie war. Und Daniel wiederum hat etliche weitere Mätressen bewirtschaftet. Sie bekamen so die Chance, die Grenze ihrer sexuellen Freiheit immer weiter zu verschieben bis über die Grenze des Ungeahnten hinaus. Sie hatten keinen blassen Tau von Tantrismus, und trotzdem gelang es ihnen, durch das Tor der Obszönität fast bis an die Schwelle des Mystischen zu gelangen. Und unter den Intellektuellen war damals die vor dem Krieg von Jindřich Štyrský verfasste Biografie des Dichters Majakowski sehr populär. Und der Titel – „Wolke in Hosen und ohneHosen“ – paraphrasierte ein berühmtes Poem von Majakowski. Majakowski war ein sowjetischer Revolutionslibertin, der zeit seines Lebens mit Sex und erotischen Kombinationen experimentiert hat, so wie in seinen futuristischen Anfängen mit der Poesie. Es war ein faszinierendes „Spiel in Echt“, bezahlt dafür hat er allerdings mit seinem Leben in jener monströsen Nekrokratie, der jegliche Freiheit, also auch die sexuelle, zuwider war. Und zu Beginn der Fünfzigerjahre hatte er bei uns seine Epigonen nicht nur in der Poesie. Aber so etwas ist unwiederholbar. Heute kannst du ficken, und das war’s. Die erste Hälfte der Fünfzigerjahre, das goldene Zeitalter in der Geschichte unserer Sexualität!
Sehr schön, lobte Petra, aber jetzt zurück zur Frage, wie es denn dazu gekommen ist, dass sich Modráček nicht einfach
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