Das Versprechen des Architekten
Bilder sorgfältig ein und öffnete mir die Tür und ließ mich mit ihnen in eine Welt hinaus, in der wirkliche Kunst allerdings weniger als zertretene Hundescheiße bedeutet.
Das ist schon mein vierter und fünfter Chittussi. Ich irre herum in meiner Wohnung und suche einen Platz für sie. Am Ende hänge ich beide in dem Risalitzimmer auf, wo ich schlafe, träume, ficke, meine verzwickten Detektivfälle löse und mir meine Lebensstrategie überlege.
Gib’s zu, du hast wieder eine Neue. Oder einen neuen Chittussi, sagt Hanička, als sie, um Leberpastete zu kaufen, in die Konsum-Fleischerei kommt.
Letzteres stimmt. Zwei Chittussis.
Also so ist das! So glücklich nämlich hab’ ich dich schon lang nicht mehr gesehen. Und wann werde ich die Glückliche sein? Wann wirst du mir endlich ein ordentliches Stück Schweinefleisch verkaufen? Wann endlich wird es wieder genug Fleisch geben?
Ich gucke mich im Laden um und beuge mich dann zu Hanička vor und flüstere ihr ins Ohr: Schon bald, Mädchen. Die Chancen stehen gut. Auf dem Schwarzmarkt portionieren sie angeblich schon die Hingerichteten vom staatsfeindlichen Verschwörerzentrum.
Sie bekreuzigt sich und zieht sich schnell aus dem Laden zurück.
SYNCHRONIZITÄT?
Meine Schwester war wahrscheinlich das wichtigste Wesen in meinem Leben. Schon von Kindheit an empfand ich ihr gegenüber mehr als nur die Verantwortlichkeit des älteren Bruders. Und dafür, wie ich die Nachricht von ihrem Tod aufnahm, stumpf, bewegungslos, starr, und dafür, dass ich es nicht schaffte, mich dagegen aufzulehnen, als sie mir befahlen, ich dürfe den Sarg nicht öffnen, ich dürfe das Siegel nicht aufbrechen, mit dem sie ihn verschlossen hatten, dafür werde ich zu Recht für mein ganzes weiteres Leben ins Gefängnis der Starre geworfen bleiben. Als Strafe dafür, dass ich mein Schwesterchen nicht gerettet, dass ich es nicht geschafft habe, mich ihnen zu widersetzen.
Wenn ich versuche, mich an die Tage unmittelbar nach dem Begräbnis meiner Schwester zu erinnern, verfließen sie so für mich, dass ich sie nicht voneinander unterscheiden kann. Der Bau des umfangreichen Wohnungsprojekts in der Botanická wurde fertiggestellt und parallel dazu auch der Anbau in der Židenicer Kaserne. Aber ich kann mich an keinen einzigen Augenblick, an kein einziges Detail aus diesen Tagen entsinnen. Ich erledigte die Arbeit, die man von mir verlangte, aber ich warabwesend, als hätte ich an meiner Stelle irgendeinen mechanischen Doppelgänger dorthin geschickt, einen von mir nicht unterscheidbaren Androiden. Etwas war mit mir geschehen und erwies sich als irreparabel. Ich fiel trauriger Verzweiflung anheim, mit der ich nicht leben konnte, die mich zugleich aber zwang, immer weiter und weiter zu leben. Das Leben war nur noch eine unablässig verlängerte Strafe. Ich bezahlte für das, was sich nicht mehr gutmachen ließ.
Aber dann mengte sich etwas hinein, das ich nicht in Worte kleiden kann. Plötzlich kam es zu einem Bruch. Einem unglaublichen Bruch. Aber vielleicht war es wirklich nur ein Zufall gewesen, weil Zufälle bekanntlich Bestien sind und einen verarschen beziehungsweise einem ordentlich den Kopf verdrehen können. Oder, wie in meinem Fall, ruhig über unser weiteres Schicksal entscheiden.
Eines Abends kehrte ich nach Hause zurück und zog von ganz hinten aus der Bibliothek das große Paket mit Vaters schriftlicher Hinterlassenschaft hervor. Bis zum letzten Moment hatte ich nicht gewusst, warum ich das tat, was mich dazu veranlasste, ausgerechnet jetzt in diesen alten Papieren herumzustöbern. Erst, als ich darauf stieß, wusste ich, dass dieser Fund der Grund und dieser mir ja doch irgendwie von Anfang an bekannt gewesen war und ich ihn nur nicht hatte benennen und aussprechen können.
Es war das Manuskript einer Erzählung von Nabokov mit dem Titel „Hier wird russisch gesprochen“, versehen mit einer Widmung für meinen Vater. Und mit einer großenKlammer daran befestigt war die maschinengeschriebene Übersetzung meines Vaters.
Ich las die ersten drei Sätze der Übersetzung. „Martynitschs Tabakladen befindet sich an einer Straßenecke. Es ist nun mal so, dass Trafiken meist in Eckhäusern untergebracht sind. Martyn Martynitschs kleiner Laden läuft gut.“
Und dann schob ich mir den Schemel näher an die Bibliothek heran, damit ich mich mit dem Rücken an sie anlehnen konnte, und so verharrte ich, bis ich Vaters Typoskript zu Ende gelesen hatte. Als meine Frau vorbeiging, schaute
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