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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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und Finger des Toten und hörte sich selbst sagen: »Es gibt keine Hinweise auf Bläschenbildung …« Sein Kommentar war ihm sofort ein wenig peinlich.
    »Das beweist gar nichts«, sagte Kari denn auch.
    Jonas wußte, daß sie recht hatte. Sie alle wußten es. Im toten Fleisch erfrorener Fingerspitzen und Zehen hätten sich sowieso keine Bläschen bilden können, weil der Mann viel zu kurz danach gestorben war. Aber, verdammt, Jonas wollte nicht aufgeben, noch bevor sie überhaupt angefangen hatten.
    »Aber es gibt auch keine Anzeichen für nekrotisches Gewebe«, sagte er.
    »Weil der ganze Patient nekrotisch ist«, wandte Kari wieder ein, hartnäckig wie immer. Manchmal wirkte sie so ungeschickt wie ein Vogel mit spindeldürren Beinen, der zwar ein Herr der Lüfte ist, an Land aber nur mühsam herumstakst. Manchmal setzte sie ihre Größe aber auch ganz bewußt ein, indem sie einen einschüchternden Schatten warf und auf ihren Gegner mit einem harten Blick hinunterschaute, der zu besagen schien: Hör lieber auf mich, sonst hacke ich dir noch die Augen aus, mein Lieber. Jonas war fünf Zentimeter größer als Kari, und deshalb konnte sie nicht wirklich auf ihn herabschauen, aber die Wirkung ihres strengen Blicks war dieselbe, als wenn er nur einen Meter fünfundfünfzig groß gewesen wäre.
    Hilfesuchend sah er Ken an.
    Der Neurologe war aber auch nicht bereit, ihn vorbehaltlos zu unterstützen. »Die Körpertemperatur könnte nach dem Tod tatsächlich unter Null gefallen sein und sich auf dem Weg hierher wieder etwas erhöht haben, und wir können das nicht feststellen. Du weißt das, Jonas. Das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, daß Elvis nie so mausetot gewesen ist wie dieser Bursche hier.«
    »Wenn er jetzt nur sieben Grad hat …«, meinte Kari wieder.
    Jede Zelle im menschlichen Organismus besteht größtenteils aus Wasser. Der genaue Prozentsatz variiert zwischen Blutzellen und Knochenzellen, zwischen Hautzellen und Leberzellen, aber immer ist mehr Wasser als sonst etwas vorhanden. Und wenn Wasser gefriert, dehnt es sich aus. Legen Sie mal eine Flasche Sodawasser in die Tiefkühltruhe, weil Sie schnell einen kalten Drink brauchen, lassen Sie sie versehentlich etwas zu lange drin – und Sie bekommen gefrorenes Soda, gespickt mit Glassplittern, weil die Flasche explodiert ist. Auf ganz ähnliche Weise läßt gefrorenes Wasser die Membranen der Gehirnzellen – aller Körperzellen – bersten.
    Kein Mitglied der Gruppe wollte Harrison von den Toten auferwecken, wenn sich mit Sicherheit vorhersagen ließ, daß kein vollwertiger Mensch zurückkäme. Kein guter Arzt, so durchdrungen er auch von seiner Heilungsmission sein mochte, wollte mit dem Tod kämpfen und ihn besiegen, nur um mit einem Patienten dazustehen, der unter schweren Gehirnschäden litt oder nur mit Hilfe von Maschinen im Koma »am Leben« erhalten werden konnte.
    Jonas wußte, daß seine größte Schwäche als Arzt sein extremer Haß auf den Tod war. Diesen Zorn trug er immer mit sich herum. Und in Momenten wie diesem konnte sich der Zorn zu kalter Wut steigern, die sein Urteilsvermögen beeinträchtigte. Er empfand den Tod eines jeden Patienten als persönlichen Affront. Deshalb neigte er dazu, die Lage viel zu optimistisch einzuschätzen und eine Wiederbelebung zu versuchen, die tragischere Folgen haben konnte, wenn sie gelang, als wenn sie erfolglos blieb.
    Die vier anderen Teammitglieder wußten um seine Schwäche. Sie beobachteten ihn erwartungsvoll.
    Hatte im OP zuvor schon Grabesstille geherrscht, so war es jetzt so still wie an irgendeinem einsamen Ort zwischen den Sternen, wo Gott – wenn es Ihn denn gab – das Urteil über Seine hilflosen Geschöpfe sprach.
    Jonas war sich schmerzlich bewußt, daß kostbare Sekunden verrannen.
    Der Patient war erst seit knapp zwei Minuten im OP. Aber zwei Minuten konnten alles entscheiden.
    Harrison auf seinem Operationstisch war zweifellos so tot, wie ein Mensch nur sein konnte. Seine Haut war grau, Lippen, Fingernägel und Zehennägel bläulich verfärbt, die Lippen leicht geöffnet, wie sie es gewesen waren, als der letzte Atemzug aus ihm entwich. Dem Fleisch fehlte jede Elastizität.
    Andererseits war er, abgesehen von der fünf Zentimeter langen Platzwunde auf der rechten Stirnseite, einer Abschürfung links am Kinn und Abschürfungen an den Handflächen, anscheinend unverletzt. Für einen Mann von achtunddreißig Jahren war er in ausgezeichneter körperlicher Verfassung gewesen,

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