Das Versteck
was sich auf dem Bildschirm des Elektrokardiographen als Zackenbewegung darstellte. Ein Schauder durchlief seinen ganzen Körper. Dann zeigte das EKG wieder Nullinien an.
Die Griffe der Elektroden umfassend, warf Ken Jonas einen erwartungsvollen Blick zu.
»Zweiunddreißig Grad«, verkündete Helga. »Er ist im richtigen Temperaturbereich, und er will zurück.«
Jonas spürte, wie ihm der Schweiß jetzt über die rechte Schläfe und den Kieferknochen rann. Das war der schlimmste Teil der ganzen Prozedur: dieses Warten, um dem Patienten eine Chance zu geben, den entscheidenden Anstoß aus eigener Kraft zu schaffen, anstatt ihn durch weitere Methoden künstlicher Reanimation zu belasten.
Ein drittes spasmodisches Herzzucken war auf dem Bildschirm wieder als Zackenlinie zu erkennen, aber sie brach schneller ab als die vorangegangenen und war von keiner Reaktion der Lunge begleitet. Es waren auch keine Muskelzuckungen zu sehen. Harrison lag regungslos und schlaff da.
»Er schafft den Sprung nicht«, sagte Kari Dovell.
Ken stimmte ihr zu. »Wir werden ihn verlieren.«
»Siebenundsiebzig Minuten.«
Nicht vier Tage im Grab wie Lazarus, bevor Jesus ihn auferweckte, dachte Jonas, aber auch siebenundsiebzig Minuten Tod sind schon viel.
»Epinephrin«, sagte er.
Kari reichte ihm die Spritze, und er setzte die Injektion augenblicklich in dieselbe Venenöffnung, die er schon vorher benutzt hatte.
Ken beugte sich mit den Elektroden in den Händen über den Patienten, um keine Sekunde zu verlieren, wenn ein Stromstoß erforderlich sein würde.
Das Epinephrin, ein starkes Hormon, das aus den Nebennieren von Schafen und Rindern gewonnen und von manchen Reanimationsspezialisten als »Wiederbelebungselixier« bezeichnet wird, wirkte auf Harrison so unmittelbar wie irgendein Elektroschock. Der schale Atem des Todes brach aus ihm hervor, er schnappte nach Luft, so als würde er noch immer in jenem eisigen Fluß ertrinken, er zuckte heftig, und sein Herz begann so schnell zu rasen wie das eines Kaninchens, dem ein Fuchs dicht auf den Fersen ist.
10
Vassago hatte jedes Stück seiner makabren Sammlung mit sehr viel Bedacht arrangiert. Die zehn Leichen einfach achtlos auf dem Betonboden liegen zu lassen, wäre ihm wie ein Sakrileg vorgekommen. Er respektierte den Tod nicht nur, sondern liebte ihn leidenschaftlich, war von ihm genauso durchdrungen wie Beethoven von der Musik oder Rembrandt von der Malerei. Der Tod war schließlich das Geschenk Satans an die Bewohner des Gartens Eden gewesen, ein Geschenk in hübscher Verpackung. Er war der Urheber des Todes, und sein war das Reich des ewigen Todes. Jedes Fleisch, das vom Tod gezeichnet worden war, mußte mit der gleichen Ehrfurcht behandelt werden, wie sie ein gläubiger Katholik der heiligen Eucharistie bezeugt. Genauso, wie ihr Gott angeblich in der dünnen Oblate aus ungesäuertem Brot gegenwärtig ist, war das Antlitz von Vassagos unversöhnlichem Gott überall dort zu sehen, wo es nach Moder roch.
Die erste Leiche, die er Satan dargebracht hatte, war Jenny Purcell, eine zweiundzwanzigjährige Kellnerin, die in einer Imbißstube im Stil der 50er Jahre gearbeitet hatte, wo aus der Jukebox Elvis Presley, Chuck Berry, Lloyd Price, die Platters, Buddy Holly, Connie Francis und die Everly Brothers tönten. Jenny hatte Spätschicht gehabt, und als Vassago hereinkam und einen Hamburger und ein Bier bestellte, fand sie seine schwarze Kleidung und die dunkle Sonnenbrille, die er auch beim Essen nicht abnahm, unheimlich faszinierend.
Ein cooler Typ, dachte sie. Er sah interessant aus, sein hübsches Milchgesicht stand in scharfem Gegensatz zu einem energischen Kinn und einem harten Mund. Sein dichtes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel, verlieh ihm eine leichte Ähnlichkeit mit dem jungen Elvis. Wie heißt du, fragte sie, und er sagte: Vassago, und sie sagte: Ich meine, mit Vornamen, und er sagte: Vassago und sonst nichts, und das verwirrte sie und regte ihre Phantasie noch mehr an, und sie fragte: Echt? So wie Cher nur einen Namen hat oder Madonna oder Sting? Er blickte ihr durch seine dunklen Brillengläser tief in die Augen und sagte: Ja – irgendwelche Probleme damit? Die hatte sie nicht, ganz im Gegenteil. Sie fand ihn unheimlich attraktiv, weil er so »anders« war, aber sie entdeckte erst später – viel zu spät wie anders er war.
Alles an Jenny wies sie in seinen Augen als Nutte aus. Nachdem er sie mit einem zwanzig Zentimeter langen Stilett erdolcht hatte, brachte
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