Das Versteck
da.«
»Nein, ich habe mein Zeug schon gewaschen, aber als ich die Klamotten dann zu Hause aus dem Korb nahm, habe ich festgestellt, daß eine Socke fehlt. Wahrscheinlich habe ich sie in einem der Trockner vergessen. Aber ich wollte Sie nicht stören. Tut mir wirklich leid.«
Sie lächelte noch breiter, vielleicht weil es ihr komisch vorkam, daß ein Möchtegern-James-Dean, ein schwarzgewandeter Rebell, der auch nicht wußte, was er tat, so höflich war – oder daß er selbst seine Wäsche wusch und nach verlorenen Socken suchte.
Inzwischen stand er neben ihr. Er schlug ihr ins Gesicht – zwei harte Boxhiebe genügten zum K. o. Sie sackte auf dem Vinylboden zusammen wie ein Haufen nasser Wäsche.
Als sie später in der ausgeräumten Hölle der vermodernden Geisterbahn zu sich kam und feststellte, daß sie nackt und an Händen und Füßen gefesselt auf dem Betonboden lag und in dem lichtlosen Raum absolut nichts sehen konnte, versuchte sie nicht, um ihr Leben zu betteln, wie einige der anderen es getan hatten. Sie bot ihm nicht ihren Körper an, tat nicht so, als würde seine Brutalität oder die Macht, die er über sie besaß, sie erregen. Sie bot ihm weder Geld, noch behauptete sie, ihn zu verstehen und Sympathie für ihn zu empfinden in dem jämmerlichen Versuch, ihn weich zu stimmen und zum Verbündeten und Freund zu machen. Sie schrie nicht, weinte nicht, klagte nicht, fluchte nicht. Sie war anders als die anderen, denn sie fand Hoffnung und Trost in unablässigem inbrünstigen leisen Gebet. Aber sie betete nicht darum, von ihrem Peiniger erlöst zu werden, in die Welt, der sie entrissen worden war, zurückkehren zu können – sie schien zu wissen, daß ihr Tod unvermeidlich war. Statt dessen betete sie, daß ihre Familie die Kraft aufbringen möge, ihren Verlust zu verschmerzen, daß Gott ihre beiden jüngeren Schwestern behüten, und sogar, daß ihrem Mörder göttliche Gnade und Vergebung zuteil werden möge.
Vassago haßte sie bald von ganzem Herzen. Er wußte, daß es so etwas wie Liebe und Gnade nicht gab, daß das nur leere Worte waren. Er hatte niemals Liebe verspürt, weder während seiner Zeit im Grenzland noch früher, als er noch zu den Lebenden gehört hatte. Allerdings hatte er oft so getan, als liebte er jemanden – Vater, Mutter, ein Mädchen –, um zu bekommen, was er haben wollte, und sie hatten sich immer täuschen lassen. Sich der naiven Täuschung hinzugeben, Liebe könnte in anderen existieren, obwohl man selbst dieses Gefühl nicht kannte, war ein Zeichen fataler Schwäche. Die ganzen sogenannten zwischenmenschlichen Beziehungen waren im Grunde doch nur ein Spiel, bei dem jeder betrog und heuchelte, und was die guten von den unfähigen Spielern unterschied, war die Fähigkeit, dieses Spiel zu durchschauen.
Um Margaret zu zeigen, daß man ihn nicht täuschen konnte und daß ihr Gott machtlos war, belohnte Vassago ihre stillen Gebete mit einem langen, qualvollen Tod. Schließlich schrie sie doch noch. Aber ihre Schreie waren nicht befriedigend, denn sie waren nur Ausdruck von physischem Schmerz, nicht aber von Angst, Wut oder Verzweiflung.
Er dachte, sie würde ihm besser gefallen, wenn sie erst einmal tot wäre, aber er haßte sie auch dann noch. Einige Minuten lang drückte er ihren Körper an sich und fühlte, wie die Wärme daraus entwich. Aber auch das war nicht so erregend, wie er es sich vorgestellt hatte. Weil sie mit einem ungebrochenen Glauben an das ewige Leben gestorben war, hatte sie Vassago um die Befriedigung betrogen, in ihren Augen die Erkenntnis des Todes zu sehen. Er stieß ihren schlaffen Körper angewidert von sich.
Jetzt, zwei Wochen nach ihrem Tod, kniete Margaret Campion in ständigem Gebet auf dem Boden der Geisterbahnhölle. Sie war sein bisher letztes Sammlerstück. Sie konnte nicht umkippen, weil sie an eine Eisenstange gebunden war. Dafür hatte er nicht einmal die Mühe gescheut, ein Loch in den Betonboden zu bohren. Sie war nackt und wandte dem riesigen Satan den Rücken zu. Obwohl sie Baptistin gewesen war, umklammerte sie mit ihren toten Händen ein Kruzifix, weil ihm das besser gefiel als ein einfaches Kreuz; sie hielt es verkehrt herum, so daß der Kopf mit der Dornenkrone nach unten wies. Margarets eigener Kopf war abgeschnitten und sodann mit größter Sorgfalt wieder angenäht worden – in umgekehrter Richtung. Auf diese Weise drehte sie Satan zwar den Rücken zu, aber ihr Gesicht war ihm zugewandt, nicht dem Kruzifix, das sie unehrerbietig
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