Das Versteck
erfahren, daß gegen den LKW-Fahrer Anzeige erstattet worden war, weil er unter Alkoholeinfluß gestanden und die zulässige Promillegrenze um mehr als das Doppelte überschritten hatte. George Glover, Hatchs Anwalt, hatte ihn gefragt, ob er gegen Cooper oder die Gesellschaft, für die er arbeitete, Zivilklage erheben wolle, aber Hatch war von Natur aus nicht nachtragend. Außerdem hatte er einen Horror davor, in die schwerfällige Maschinerie der Juristen und Gerichte zu geraten. Er lebte. Nur das allein zählte. Der LKW-Fahrer würde auch ohne Hatchs Mitwirkung wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt werden, und er war froh, diese Angelegenheit der Rechtsprechung überlassen zu können.
Er hatte von William Cooper zwei Briefe erhalten, den ersten nur vier Tage nach seiner Reanimation. Es war eine anscheinend aufrichtige, wenngleich langatmige und devote Epistel, bei der es ihm um eine Absolution ging. Das Schreiben wurde im Krankenhaus abgegeben, wo Hatch noch behandelt wurde. »Zeigen Sie mich an, wenn Sie wollen«, schrieb Cooper, »ich habe es verdient. Ich würde Ihnen alles geben, was ich besitze, wenn Sie es wollen, obwohl es nicht viel ist, weil ich kein reicher Mann bin. Aber ob Sie mich verklagen oder nicht, hoffe ich aufrichtig, daß Ihr großmütiges Herz Ihnen erlauben wird, mir auf irgendeine Weise zu verzeihen. Ohne den genialen Dr. Nyebern und seine wunderbaren Mitarbeiter wären Sie mit Sicherheit tot, und dadurch würde mein Gewissen bis zum Ende meines Lebens keinen einzigen Tag mehr Ruhe finden.« In diesem Stil ging es über vier eng beschriebene Seiten weiter, in unleserlicher Schrift, die stellenweise überhaupt nicht zu entziffern war.
Hatch hatte Cooper in einem kurzen Antwortbrief beruhigt, daß er nicht beabsichtige, ihn gerichtlich zu belangen, und daß er keinen Groll gegen ihn hege. Er hatte dem Mann außerdem dringend empfohlen, sich wegen seines Alkoholproblems beraten zu lassen, falls er das bisher nicht getan hatte.
Einige Wochen später, als Hatch wieder zu Hause war und arbeitete und nachdem der Mediensturm endlich abgeflaut war, hatte er einen zweiten Brief von Cooper erhalten. Unglaublicherweise ging er Hatch darin um Hilfe an: Dieser solle sich doch dafür einsetzen, daß er seinen Job als Lastwagenfahrer zurückbekomme, nachdem man ihn aufgrund der polizeilichen Anzeige gefeuert habe. »Ich bin schon zweimal wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden, das stimmt«, schrieb Cooper, »aber in beiden Fällen war ich mit meinem Privatauto unterwegs, nicht mit dem LKW, und während meiner Freizeit, nicht im Dienst. Jetzt bin ich meinen Job los, und außerdem wollen sie mir den Führerschein abnehmen, was mir das Leben sehr schwermachen wird. Ich meine – wie soll ich denn ohne Führerschein einen neuen Job bekommen? Und da habe ich mir eben gedacht, wo Sie doch auf meinen ersten Brief so freundlich geantwortet und sich als Gentleman und wahrer Christ erwiesen haben, könnten Sie vielleicht ein gutes Wort für mich einlegen, was eine große Hilfe wäre. Schließlich hatte die Sache für Sie ja keinen tödlichen Ausgang, und sie hat Ihnen sogar eine ganze Menge Publicity eingebracht, was bestimmt für Ihren Antiquitätenhandel gar nicht so schlecht war.«
Befremdet und ungewöhnlich wütend hatte Hatch den Brief abgelegt, ohne ihn zu beantworten. Tatsache war, daß er sich bemüht hatte, ihn möglichst schnell zu vergessen, weil es ihn beunruhigte, wie ärgerlich er wurde, sobald er daran dachte.
In dem kurzen Artikel auf Seite 3 stand, daß Coopers Anwalt aufgrund eines einzigen Formfehlers bei den polizeilichen Ermittlungen durchgesetzt hatte, daß alle gegen Cooper vorgebrachten Anklagen abgewiesen wurden. Der Unfall wurde kurz mit drei Sätzen erwähnt, gefolgt von dem albernen Hinweis, Hatch halte »den gegenwärtigen Zeit-Rekord im Totsein vor einer erfolgreichen Reanimation«. Als hätte er die ganze Sache selbst arrangiert, in der Hoffnung, auf diese Weise in die neueste Ausgabe des Guinness-Buchs der Rekorde zu kommen.
Was aber allem die Krone aufsetzte und Hatch zu lauten Flüchen veranlaßte, war die Meldung, daß Cooper seinen Arbeitgeber wegen ungerechtfertigter Entlassung verklagen wolle und damit rechne, entweder seinen alten Job zurückzubekommen oder, wenn das nicht klappte, wenigstens eine erhebliche Abfindung. »Ich habe durch meinen ehemaligen Arbeitgeber eine schwere Demütigung hinnehmen müssen, wodurch sich gravierende streßbedingte
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