Das versteckte Experiment (German Edition)
Früher dachte man, dass in der realen Welt das Atom die kleinste nicht mehr unterteilbare Einheit sei. Später stellte man fest, dass auch der Atomkern aus Teilchen zusammengesetzt war, aus Protonen und Neutronen und diese wiederum aus Quarks. Vielleicht bildeten die Strings tatsächlich die kleinste Einheit. Auf jeden Fall musste es auch in der realen Welt eine Grenze der Teilbarkeit geben, sogar für den Raum und die Zeit. Jan hatte gelesen, dass die Komplementarität in der Quantenwelt, wie zum Beispiel der Welle-Teilchen-Dualismus, damit zusammenhing, dass ein Quant nur eine von zwei Eigenschaften zeigen konnte, weil für zwei Informationen einfach kein Platz vorhanden war. Auch die Heisenbergsche Unschärfe konnte damit erklärt werden. Entweder rief man die Information „Ort“ ab, oder „Impuls“, niemals konnte man beide Informationen gleichzeitig exakt erhalten.
Nachdem Jan Sintjas Knie ausführlich betrachtet hatte, wählte er ihre Rufnummer.
„Hallo, Jan!“, hörte er ihre Stimme.
„Hallo, Sintja, ich habe gerade deine Knie erhalten. Sie gefallen mir. Kann es sein, dass sie etwas rot geworden sind, oder liegt das an der Handykamera?“
„Das ist leider echt. Ich habe einen kleinen Sonnenbrand. Zum Glück beschränkt der sich nur auf meine Beine. Wie geht es dir, Jan?“
„Ich habe keinen Sonnenbrand. Aber auch hier ist schönes Wetter und ich bin gestern am Steindeich gewesen und bin eine Runde geschwommen. Ansonsten lebe ich so in den Tag hinein, ohne Schule und Stress. Wo seid ihr jetzt?“
„Ich sehe gerade Seepferdchen vor mir.“
„Da ich nicht annehme, dass du mit dem Handy unter Wasser telefonierst, schließe ich daraus, dass du in einem Aquarium bist.“
„Gut geraten. Wir sind hier im Meerwasseraquarium von La Rochelle und morgen fahren wir weiter nach Bordeaux.“
„Ich glaube, ich vermisse dich jetzt schon, Sintja“, sagte Jan mit etwas leiserer Stimme. Sie verriet seine Unsicherheit, die stets auftrat, wenn seine Gefühle mit im Spiel waren.
„Ich vermisse dich auch“, kam Sintjas Antwort, auch leiser als vorher. Der Grund dafür war nicht, dass es niemand hören sollte. Jan spürte in ihrer Stimme die gleiche Unsicherheit, aber auch einen Ausdruck von Zärtlichkeit. Das waren keine übersinnlichen Signale, sondern der Klang, der Tonfall, vielleicht ein leichtes Vibrieren in der Stimme, die Lautstärke und sogar die kleinen Pausen zwischen den Worten, die er bewusst oder unbewusst registrierte. Der von Sintja gesprochene Satz „Ich vermisse dich auch“ war eben mehr als die einzelnen Worte und was Jans Gehirn daraus formte, war etwas ganz Individuelles.
„Was machst du den ganzen Tag?“, unterbrach Sintja das kurze Schweigen.
„Die Familie ist ausgeflogen. Ich habe mir vorgenommen, heute etwas für das Projekt meines Vaters zu programmieren. Ich habe da ein paar neue Ideen.“
„Du musst arbeiten?“
„Für mich ist es eigentlich gar keine Arbeit, Programmieren ist für mich das reinste Vergnügen.“
„Ich verstehe. Und Christine, hast du wieder etwas von ihr gehört?“
„Wir chatten jeden Tag miteinander.“
„Muss ich eifersüchtig sein?“
„Nein, aber ich.“
„Wieso?“
„Christine hat gesagt, dass du vielleicht im Urlaub jemanden kennenlernen könntest.“
„Das ist die geheimnisvolle Christine. Hellsehen kann sie sicher nicht. Aber ich kann hellsehen, Jan. Es wird nicht passieren.“
„Dann bin ich beruhigt. Übrigens wollte Christine mich nur provozieren.“
„Weshalb?“
„Das erkläre ich dir, wenn du zurück bist. Ich bin mir nicht sicher, ob unser Telefonat abgehört wird.“
„Mir scheint, ich habe einen Geheimagenten kennengelernt“, sagte Sintja lachend.
„Es ist wirklich zum Lachen. Aber es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass man sich für meine Unterhaltung mit Christine interessiert.“
„Sei vorsichtig, Jan. Ich muss jetzt Schluss machen. Ich sende dir demnächst die nächsten Puzzleteile von mir.“
„Ich freue mich schon auf das Gesamtbild.“
„Tschüss, Jan – und grüße Christine von mir.“
„Tschüss, Sintja – mache ich.“
Jan war so glücklich wie seine schnurrende Katze, die sich inzwischen auf seinem Schreibtisch niedergelassen und alle Viere von sich gestreckt hatte. Er streichelte sie unterm Kinn und Mausi legte ihren Kopf genüsslich in den Nacken. Die Welt schien zumindest für die beiden in Ordnung zu sein.
Jan startete das Entwicklungssystem, um endlich an der Software für
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