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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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gesagt, weil ich ein Familienmensch bin. Er meinte, ein Familienmensch sei jemand, der inmitten seiner Familie auflebe. Ich würde mir für meine Familie ein Bein ausreißen und Verantwortung übernehmen. Aber ich sei eine Einzelgängerin mit ausgeprägtem Kinderwunsch. Seiner Meinung nach gebe es zu viele falsche Gründe, um ein Kind in die Welt zu setzen.« Ich seufzte leise. »Simons Vater ist ein übler Schläger, der ihn regelmäßig verprügelt hat. Er kann die Angst nicht überwinden, selbst eines Tages die Kontrolle zu verlieren und sein Kind zu schlagen. Er ist so überzeugt davon, dass dieses Handlungsmuster in ihm drinsteckt – dagegen komme ich nicht an.«
    »Ich kann ihn verstehen. Es gibt genügend Beispiele, wo es genauso ist.«
    »Aber doch nicht Simon! Wir sind jetzt seit zwei Jahren zusammen, und es hat in dieser Zeit keine einzige Situation gegeben, in der ich auch nur annähernd Sorge hatte, dass er ausrastet.«
    »Vielleicht hat er eine Ahnung von der dunklen Seite in sich.«
    »Selbst wenn. Solch einer dunklen Seite ist man nicht hilflos ausgeliefert.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher, Kris. Du musst dich erst einmal an sie heranwagen, sie dir eingestehen und dich ihr stellen. Das ist nicht einfach.«
    »Kennst du deine?«
    »Ziemlich genau. Und du?«
    Ich schmunzelte. »Ich habe keine.«
    »Ach, ja … interessant.« Sie ging auf meinen leichten Ton ein und zündete sich eine weitere Zigarette an.
    Eine Weile schwiegen wir und hingen unseren Gedanken nach. Ich spürte, wie eine bleierne Müdigkeit von mir Besitz ergriff. Arne schien es ähnlich zu gehen. Henrike müsse ihn jetzt sofort nach Hause bringen, er sei zum Umfallen müde, rief er vom Tisch her zu uns rüber.
    »Zum Umfallen betrunken«, sagte sie in liebevollem Ton, drückte die Zigarette im Rasen aus und stand auf.
    »Henrike …«, hielt ich sie zurück, ohne dass ich wusste, was ich noch sagen sollte.
    Sie sah mich lange an und legte dann ihre Hand an meine Wange. »Ja, Kris, man kann ohne Kinder leben. Gut sogar.«
    »Bist du nie traurig deswegen?«
    »Ich war es mal, aber die Traurigkeit ist vorübergegangen. Inzwischen bin ich froh über meine Unabhängigkeit. Mach dir nicht so viele Gedanken deswegen. Du hast noch viel Zeit. Und selbst wenn sich die Dinge nicht so entwickeln sollten, wie du es dir wünschst, können sie sich trotzdem zum Guten wenden. Letztlich weißt du das immer erst im Nachhinein.«
    Ich spürte einen Trotz in mir aufsteigen, den ich schon aus meiner Kindheit kannte und der mich früher mit dem Fuß hatte aufstampfen lassen, wenn etwas nicht so lief, wie ich es wollte.
    »Manche Dinge solltest du nicht erzwingen.« Henrike sah mich an, als spräche sie zu einer jüngeren Version von sich selbst.
    »Fatalismus liegt mir nicht«, entgegnete ich.
    »Mit Fatalismus hat das nichts zu tun, sondern mit Klugheit.«
    »Ich bin nur froh, dass du nicht gesagt hast, es habe mit Vernunft zu tun. Darauf reagiere ich nämlich allergisch. Kris, die Vernünftige – damit haben meine Eltern sich immer aus der Verantwortung mir gegenüber gestohlen und ihre Aufmerksamkeit Ben zugewandt.«
    »Hast du ihnen das jemals gesagt?«
    »Wozu? Das würde sie nur traurig machen, und ändern würde es nichts.«
    »Nicht für die Vergangenheit, aber fürs Jetzt.«
    Ich schüttelte den Kopf und gähnte. »Ich bin ein großes Mädchen, ich komme damit klar.«
    Henrike ging einen Schritt auf mich zu und umfing mich mit ihren Armen. Sie legte ihre Wange an meine und sprach leise in mein Ohr. »Dann sage ich dem großen Mädchen mal was: Egal, was passiert oder wie sich die Dinge entwickeln, ich bin froh, dich zur Freundin zu haben. Vergiss das nicht, ja?«
    Ich löste mich aus ihrer Umarmung und hielt sie ein Stück von mir fort. »Was soll denn passieren?«
    Sie blieb mir die Antwort schuldig. Arne kam auf uns zugetorkelt und ging neben ihr in die Knie. Wir packten ihn unter den Armen und schleiften ihn, so gut wir konnten, zu Henrikes Mini. Nachdem wir ihn auf dem Beifahrersitz festgeschnallt hatten, half Henrike mir dabei, meinen Vater und Simon in ihre Betten zu verfrachten. Die beiden waren zum Glück noch besser zu Fuß als Arne. Danach drehten wir mit Rosa eine kleine Runde durch den Garten und verabschiedeten uns gerade an der Haustür, als meine Mutter mit dem Rad in die Hofeinfahrt bog. Sie begrüßte Henrike, drückte mir einen Kuss auf die Wange und sagte, sie müsse dringend ins Bett, sie könne kaum noch die Augen offen

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