Das verstummen der Kraehe
überraschen konnte?«
»Jemand vom Personal wird beim Hinausgehen die Tür nicht richtig geschlossen haben.«
»Hatten Sie dieselbe Tür vor sechs Jahren auch schon?«
Beate Angermeier änderte ihre Strategie: Anstatt zu antworten, wartete sie die nächste Frage ab, als löse sich die vorherige dadurch in Luft auf.
»Ich habe mir die Tür vorhin angeschaut«, fuhr Henrike fort. Das Modell, für das Sie sich entschieden haben, fällt von allein ins Schloss. Wäre es nicht besser, Sie würden diese unsinnige Scharade beenden, Frau Doktor Angermeier? Wir wissen, dass Sie und Fritz Lenhardt überrascht wurden. Aber das Ganze hat sich ein Vierteljahr vor dem Mord zugetragen, nicht zwei Tage zuvor. Und erwischt wurden Sie nicht von Ihrem Freund Konstantin Lischka, sondern von einer Ihrer damaligen Mitarbeiterinnen.«
Beate Angermeier griff nach den Gehhilfen, stand wortlos auf und sah aus dem Fenster. Sie schien überaus interessiert an dem, was unter ihr auf der Straße vor sich ging. Henrike und ich verständigten uns mit Blicken, dieses Schweigen auszusitzen. Sollte die Ärztin ruhig glauben, dass ein Ende in Sicht war. Die für mich wichtigsten Fragen würden erst noch kommen.
Während wir warteten, ließ ich mir das bisherige Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Wieso war mir die Sache mit dem Schlüssel nicht aufgefallen?
Beate Angermeier drehte sich zu uns um. Scheinbar gelassen sah sie zwischen Henrike und mir hin und her. »Nachdem Sie offensichtlich keine weiteren Fragen haben, schlage ich vor, unsere Unterhaltung zu beenden.« Sie machte sich auf den Weg zur Tür.
»Ich würde Ihr Verhalten gerne verstehen, Frau Doktor Angermeier«, hielt ich sie zurück. »Sie haben Ihre Liaison mit Fritz Lenhardt ganz ohne Not preisgegeben. Oder haben Sie einen finanziellen Engpass, der Sie zwingt, die Auszahlung des Erbes zu beschleunigen?«
Sie lächelte spöttisch. »Ich wollte die Angelegenheit für uns alle beschleunigen. Fritz und Theresa sind tot, ihnen konnte ich damit nicht mehr schaden.«
»Und sich selbst? Immerhin sind Sie verheiratet, und Fritz Lenhardt war auch Freund und Institutspartner Ihres Mannes.«
»Mein Mann ist …« Sie suchte nach dem passenden Wort. »Ich würde sagen, er ist tolerant. Insofern wird ihm diese kleine, unbedeutende Affäre keine schlaflosen Nächte bereiten.« Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Zimmertür. »Ich sehe das sportlich, es war den Versuch wert.«
Ich fixierte sie, bevor ich die nächste Frage stellte. »Sehen Sie es auch sportlich, dass wir Sie bei einer weiteren Unwahrheit erwischt haben?«
Sie verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und lehnte die Gehhilfen gegen die Tür. Dann nahm sie ihre Brille von der Nase und putzte sie ausgiebig mit einem Tuch, das sie aus der Hosentasche zog. Erst als sie damit fertig war und die Brille wieder auf ihrer Nase saß, fragte sie, worauf ich anspiele.
»Bei unserem ersten Gespräch vor genau einer Woche habe ich Sie und Ihre Freunde gefragt, ob Sie meinen Bruder Ben kennen oder seinen Namen schon einmal gehört haben. Ihr Mann hat für Sie alle geantwortet und behauptet, Sie würden den Namen nur aus den Befragungen der Polizei kennen.«
»Und?«
»Mein Bruder war Samenspender Ihres Instituts, und Sie wussten davon.«
»Das heißt«, warf Henrike dazwischen, »dass Sie damals bei einer polizeilichen Ermittlung eine Falschaussage gemacht haben.«
Beate Angermeier kam zurück zur Sitzgruppe, blieb jedoch stehen. »Damals war eine Ausnahmesituation, Frau …«
»Hoppe.«
»Einer unserer Freunde brutal ermordet, ein anderer unter Mordverdacht. Glauben Sie allen Ernstes, dass mein Mann oder ich in einer solchen Situation an irgendeinen Samenspender gedacht haben?«
»Er war nicht irgendeiner«, sagte Henrike, »sondern Ben Mahlo, der ein paar Wochen zuvor spurlos verschwunden war.«
»Zu der Zeit hatte er längst nicht mehr bei uns gespendet. Er war ein halbes Jahr vor dem Mord zum letzten Mal hier gewesen. Es gab ausreichend Proben von ihm. Er hatte sein Soll erfüllt.«
»Und als Sie aus den Zeitungen erfuhren, dass er homosexuell war, haben Sie den unverbrauchten Rest dieses Solls vernichtet?«, fragte ich, obwohl ich es bereits von Britta Leitner wusste.
»Fritz hat dafür gesorgt.«
»Und dann haben Sie alle Ihre Mitarbeiter zum Stillschweigen verpflichtet.«
Sie setzte sich. »Inzwischen scheint ja ganz offensichtlich jemand geplaudert zu haben.«
Ich war mir bewusst, wie sinnlos diese Frage war,
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