Das verstummen der Kraehe
Lenhardt?«
»Aber ja!«
»Dann hätte er also nie ein Auge zugedrückt und jemanden in die Datei aufgenommen, von dessen Homosexualität er wusste?«
»Fritz?« Sie schüttelte den Kopf. »Nie im Leben. Und jetzt erklären Sie mir bitte, warum Sie das fragen.«
»Auf der Suche nach einer Verbindung zwischen meinem Bruder und Fritz Lenhardts Geburtstagsgesellschaft hatte ich eine Unterhaltung mit Ihrem Freund Tilman Velte. Er sagte, Fritz Lenhardt habe ihm einmal in angetrunkenem Zustand homosexuelle Neigungen gestanden.«
Sie lachte, als sei ich einem schlechten Scherz aufgesessen. »Unsinn! Vergessen Sie das gleich wieder! Jeder von uns versucht auf seine Art, die Auszahlung des Erbes ein wenig zu beschleunigen. Und das ist eben Tilmans Weg. Geschmacklos, wenn Sie mich fragen.« Sie zog die Stirn in Falten und entspannte sie gleich darauf wieder. Ihr war anzusehen, dass ihr etwas durch den Kopf ging. »Jetzt verstehe ich. Sie haben für möglich gehalten, dass Fritz und Ihr Bruder sich näherstanden und Fritz ihn trotz alledem als Spender zugelassen hat. Hätten Sie Fritz gekannt, wüssten Sie, wie absurd das ist, und zwar in jeder Hinsicht. Anders ausgedrückt: Hätte Fritz homosexuelle Neigungen gehabt – was ich nicht glaube –, hätte er Ihren Bruder trotzdem nicht in die Datei aufgenommen.«
Ich dachte an Tilman Velte und daran, wie selbstverständlich ihm die Geschichte über die Lippen gekommen war. Wenn alle fünf das Lügen ähnlich gut beherrschten, würde es schwierig werden, der Wahrheit jemals auf den Grund zu kommen. Mir rauschte der Kopf, und ich signalisierte Henrike, dass sie fortfahren sollte.
»Könnte Konstantin Lischka herausgefunden haben, dass Ben Mahlo für Ihr Institut als Samenspender tätig war, und Fritz Lenhardt damit erpresst haben?«, fragte sie prompt.
»Er könnte es nur von Fritz selbst, von meinem Mann oder mir erfahren haben. Aber unsere Verschwiegenheit ist neben unserer Kompetenz und unserer Erfolgsquote unser Kapital«, betonte sie, als zitiere sie aus ihrer Werbebroschüre. »Das setzt niemand leichtfertig aufs Spiel.«
»Was ist mit Ihren Angestellten?«
»Unwahrscheinlich!«, tat sie die Möglichkeit ab. »Mein Mann hat unseren Leuten damals hinreichend klargemacht, dass die Arbeitsplätze vom guten Ruf unseres Instituts abhängen. Es wurden in zeitlicher Nähe zu dieser Geschichte keinerlei Kündigungen ausgesprochen, sodass auch niemand den Wunsch hätte verspüren können, sich an uns und dem Institut zu rächen.«
»Sie schließen also aus, dass Konstantin Lischka irgendwie an dieses Wissen gelangt sein könnte?«
»Völlig auszuschließen ist es nicht. Aber selbst wenn Fritz ihm davon erzählt hätte, wäre das im Falle einer Erpressung nur ein weiteres Motiv für den Mord an Konstantin gewesen.«
»Eine Erpressung hätte auch Ihnen oder Ihrem Mann ein Motiv liefern können«, hielt Henrike in trockenem Tonfall dagegen.
Beate Angermeier schien das zu amüsieren. »Die Frage ist doch viel eher, warum einer von uns dreien überhaupt eine solche Information hätte preisgeben sollen. Und dazu fällt mir nichts ein. Ihnen?«
»Wie viele Kinder wurden eigentlich mit dem Samen meines Bruders gezeugt, bevor er vernichtet wurde?«, wollte ich wissen.
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben.«
»Verstehe.« Ich schwieg einen Moment. »Vielleicht können wir einen Deal machen. Ich vergesse eine Information, die ich bekommen habe, und Sie geben mir dafür die Information, die ich haben möchte.«
Wieder kreuzte sie die Arme vor der Brust. »Welche Information haben Sie bekommen?«
Ich beugte mich ein wenig vor, sodass mir der Duft der Rosen in die Nase stieg, und sah sie genau an. »Rena und Tilman Velte haben vor Jahren ein Kind durch eine Erbkrankheit verloren. Um diese Erkrankung beim zweiten Kind auszuschließen, haben die beiden sich für IVF und PID entschieden und sind dafür nach Tschechien gereist. Angeblich!«
»Was meinen Sie mit angeblich ?«, fragte die Ärztin.
»Sie sind eine enge Freundin und noch dazu Humangenetikerin. Es heißt, Sie gingen in Ihrem Beruf auf und hätten ziemlich liberale Ansichten, was die Präimplantationsdiagnostik betrifft. Einmal angenommen, Sie hätten den Eltern geholfen – was ich durchaus verstehen könnte –, dann hätten Sie sich zum damaligen Zeitpunkt strafbar gemacht. Der Sohn der Veltes ist sieben. Als er gezeugt wurde, war PID in Deutschland noch verboten.«
»Jetzt habe ich eine Frage an Sie,
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