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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Deshalb musst du eigentlich nicht viel mehr tun, als ein paar Gespräche mit den Erben zu führen. Alles Weitere beherrschst du im Schlaf. An deiner Stelle würde ich mir diesen Brocken nicht entgehen lassen.« Simon gab mir einen schnellen Kuss auf den Mundwinkel. »Ich muss los, ich bin ohnehin schon viel zu spät dran.«
    Ich stand immer noch an derselben Stelle, als er längst vom Hof gefahren war. Was, wenn Theresa Lenhardt sich die Realität nicht verfremdet hatte? Wenn Fritz Lenhardt tatsächlich zu Unrecht verurteilt worden war? Dann lief Konstantin Lischkas Mörder immer noch frei herum.
    Ich hatte die Unterlagen zur Seite gelegt und mich einer anderen Nachlasssache gewidmet, die ich in der kommenden Woche endlich abschließen wollte. Der alte Mann war vor drei Monaten gestorben, hatte achtzehntausend Euro an Erspartem und ein Einzimmerapartment hinterlassen. Sieben Erbberechtigte hatte ich ausfindig gemacht, von denen vier wöchentlich bei mir anriefen, um die Sache voranzutreiben. Auch an diesem Tag hatte einer von ihnen eine dringende Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen.
    Nachdem ich die noch anstehende Korrespondenz in diesem Fall und zwei Anrufe erledigt hatte, legte ich die Füße auf den Schreibtisch und nahm noch einmal Theresa Lenhardts Testament zur Hand. Sollten Sie erwägen, die Testamentsvollstreckung gleich im Vorfeld abzulehnen, hatte sie geschrieben , bitte ich Sie, Ihre Entscheidung erst zu fällen, nachdem Sie in meiner Wohnung waren. Den Schlüssel verwahrt meine Nachbarin Marianne Moser. Deren Telefonnummer war in Klammern hinter dem Namen vermerkt.
    Ich nahm das Telefon und wählte die achtstellige Nummer. Nach mehrmaligem Klingeln meldete sich die Stimme einer Bayerin, die ich auf Mitte sechzig schätzte. Ich stellte mich ihr vor und fragte, wann ich in Frau Lenhardts Wohnung könnte.
    »Am besten jetzt gleich«, lautete die Antwort. »Morgen gehe ich erst noch zum Friseur, und danach fahre ich in den Urlaub.«
    Ich versprach ihr, spätestens um Viertel nach vier bei ihr zu sein. Nachdem ich Rosa klargemacht hatte, dass sie mich nicht begleiten durfte, schloss ich die Tür und holte mein Fahrrad, das im Hausflur lehnte. Im Vorbeigehen las ich den gelben Zettel, der am Briefkasten meiner Mutter klebte. »Könntest du mir bitte ein paar Gläser Marmelade mit einkochen?«, hatte mein Vater geschrieben. »Welche Sorte?«, hatte meine Mutter an den Rand gekritzelt. »Himbeere«, murmelte ich vor mich hin. Das war seine Lieblingssorte. Und das wusste auch meine Mutter. Genauso wusste sie, dass sein Vorrat noch für mindestens zwei Jahre reichen würde. Mit einem Lächeln schwang ich mich aufs Rad. Ich konnte meinen Vater verstehen. Vor ein paar Jahren hatte ich Weinflaschen gehortet, um Simon nahe zu sein.
    »Sind Sie Kristina Mahlo?«
    Eine Frau kam mir vom Tor her entgegen, als ich gerade vom Hof radeln wollte. Die Sonne ließ ihre hellblonden Locken wie einen Strahlenkranz erscheinen. Alles an ihr schien zu fließen, die lange weiße Bluse über der gleichfarbigen weiten Hose ebenso wie ihre Bewegungen. Sie hatte auffallend blaue Augen und einen zarten, blassen Teint. Ihre Körperhaltung erinnerte mich an die einer Balletttänzerin. Ich war mir sicher, sie noch nie gesehen zu haben.
    Ich stieg vom Rad. »Ja.«
    Sie hielt mir ihre Hand entgegen. »Nadja Lischka. Ich habe Ihnen bereits auf Ihren AB gesprochen, aber Sie haben nicht zurückgerufen.«
    Rechtfertige dich niemals, war eine meiner Devisen, die ich mir über die Jahre angeeignet hatte, deshalb sah ich sie nur abwartend an.
    »Na ja, vermutlich bin ich nicht die Einzige, die auf Ihren Rückruf wartet.«
    Und sie würde noch länger darauf warten müssen. Erst einmal würde ich mir ein Bild machen. »Ich muss los, Frau Lischka, ich habe einen Termin, zu dem ich nicht zu spät kommen möchte. Ich rufe Sie in den nächsten Tagen an.«
    »Das brauchen Sie nicht, jetzt bin ich ja hier. Und ich werde mich so kurz wie möglich fassen. Ich kenne den Inhalt von Theresas Testament. Wir alle kennen ihn. Das Nachlassgericht hat uns Kopien geschickt. Sie sind als Testamentsvollstreckerin …«
    »Ich kann Ihnen noch nichts zu dieser Testamentsvollstreckung sagen. Ich weiß nicht einmal, ob ich sie überhaupt annehme.«
    »Sie müssen annehmen, Theresa wollte es so. Außerdem wird es keine große Sache für Sie werden. Leicht verdientes Geld sozusagen. Der Mord an meinem Mann wurde damals aufgeklärt. Wir alle wissen das. Ich kann

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