Das verstummen der Kraehe
angekommen war. Ich klopfte, aber es tat sich nichts. Also folgte ich dem Duft eines frisch gebackenen Kuchens in die Wohnung, blieb im Flur stehen und sah mich um. An der Wand hingen zwei Setzkästen mit Nippes, gegenüber ein gerahmter Spiegel und ein Ölbild, das zwei Ackergäule zeigte, die einen Pflug zogen. Bei meiner Arbeit hatte ich immer wieder bemerkt, dass sich Wohnungen innerhalb von Altersklassen oft erstaunlich stark ähnelten. Dies hier war die typische Wohnung einer älteren Frau, die ihre Dinge hütete. Ich war mir sicher, dass die Möbel in diesem Haushalt durch geklöppelte Deckchen geschützt wurden und alles blitzblank war.
Marianne Moser kam in weißer Schürze und Kochhandschuhen aus der Küche und dirigierte mich in ihr Wohnzimmer. Sie werde sich jeden Moment zu mir gesellen. Am Telefon hatte ihre Stimme nach einer Mittsechzigerin geklungen, aber sie hatte mit Sicherheit die siebzig überschritten. Ich betrat den Raum, auf den sie gedeutet hatte, und fand noch mehr Ölbilder, hier waren es Gebirgslandschaften. Die Fensterbank stand voller Orchideen, die Gardine aus weißer Lochstickerei war an den Seiten gerafft. Gegenüber der Schrankwand stand ein Sofa mit akkurat aufgereihten Kissen und geknüpften Bezügen. Ein kleiner runder Tisch mit einem weißen Tischtuch war für zwei gedeckt. Das einzige Geräusch im Raum kam von einer aufgeregt tickenden Pendeluhr.
Die alte Dame hatte die Schürze abgelegt und kam mir in einem dunkelblauen, wadenlangen Kleid entgegen, das ihr mindestens eine Nummer zu groß war. Nachdem sie die Kuchenplatte abgestellt hatte, schob sie einen Sessel an den Tisch und forderte mich auf, mich zu setzen. »Ich hatte noch so viele Äpfel, es wäre jammerschade gewesen, sie wegzuwerfen, nur weil ich in den Urlaub fahre. Mögen Sie gedeckten Apfelkuchen? Sie können ordentlich zugreifen, den Rest muss ich ohnehin einfrieren.«
»Sehr gerne«, antwortete ich und dachte an die vielen Baklava, die ich an diesem Tag bereits vertilgt hatte.
Sie schnitt den Kuchen in Stücke und legte ein großes auf jeden Teller. Dann schenkte sie Kaffee ein. Ihre Bewegungen waren langsam und bedacht. Das leise Stöhnen, als sie sich aufs Sofa setzte, ließ auf Gelenkschmerzen schließen.
»Theresa hat gesagt, Sie würden bald nach ihrem Tod kommen.« Marianne Moser rührte Sahne in ihren Kaffee. Ihr Gesicht war voller Falten, die sonnengebräunte Haut mit Altersflecken übersäht. Das schlohweiße Haar hatte sie zu einem dünnen Knoten gesteckt. Ihr Blick war wach und prüfend. »Essen Sie! Sie werden eine Stärkung brauchen, bevor Sie hinübergehen.« Es klang ein wenig so, als würde ich es nebenan mit einem Gruselkabinett zu tun bekommen.
»Kannten Sie Theresa Lenhardt gut?« Ich nahm den Teller auf die Knie und probierte den Kuchen.
»Sie war dreieinhalb Jahre lang meine Mieterin. Mir gehört dieses Haus, müssen Sie wissen. Sie können sich übrigens Zeit lassen mit Theresas Wohnung. Die Miete ist noch für ein Jahr im Voraus bezahlt. Sie wollte, dass ich ausreichend Zeit habe, um nette und angenehme Nachmieter zu finden.«
»Das ist eine sehr ungewöhnliche Regelung. Sie muss sehr großzügig gewesen sein.«
»Sie hatte ein großes Herz.«
»Woran ist sie gestorben? Sie war erst einundvierzig.« Ich sah sie fragend an.
»Sie hatte Krebs und hat ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt. Tragisch, wenn Sie mich fragen, wirklich tragisch. So eine nette junge Frau, verliert erst ihren Mann und wird dann zu allem Übel noch so krank. Ich habe längst aufgehört, mich zu fragen, was für ein Schicksal es ist, das da so grausam zuschlägt.«
Vielleicht musste ich erst in ihr Alter kommen, um damit aufzuhören, mir diese Frage zu stellen.
»Falls Sie zu diskret sein sollten, um mich das zu fragen, Frau Mahlo, ich kenne den Inhalt des Testaments.« Mit einer weißen Stoffserviette wischte sie sich die Kuchenkrümel aus den Mundwinkeln.
»Wie ist Ihre Meinung dazu?«
Sie lehnte sich zurück, nahm eines der Kissen auf den Schoß und zeichnete mit einem Finger die Linien des Musters nach. »Schwer zu sagen. Wenn es jemals einen Menschen gab, für den ich so etwas wie Muttergefühle hätte entwickeln können, dann für Theresa. Ich mochte sie sehr gerne. Und deshalb habe ich ihr immer gewünscht, dass sie ihren Frieden findet. Aber das war nicht möglich, solange sie so fest an der Unschuld ihres Mannes festhielt.«
»Sie glauben, dass er schuldig war?«
»Theresa ist hierhergezogen, als
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