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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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ihr Mann bereits seit zwei Jahren im Gefängnis war. Sie musste das gemeinsame Haus in Obermenzing verkaufen. Ihr Mann hatte mit seinem Institut sehr viel Geld verdient, aber als diese Einnahmequelle ausfiel und all die Anwälte zu bezahlen waren, ging es irgendwann zur Neige. Die Erbschaft ihrer Tante hat sie erst nach dem Tod ihres Mannes gemacht. Aber …«
    »Wo in Obermenzing hatten die beiden ihr Haus?«, unterbrach ich sie.
    »Im Betzenweg. Ein sehr schönes Haus, ich bin mal vorbeigeradelt.« Sie brauchte einen Moment, um den Faden wiederaufzunehmen. »Was ich eigentlich sagen wollte, ist: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand für ein Verbrechen verurteilt wird, das er nicht begangen hat.« Sie hielt inne, legte den Finger an die Lippen und schloss für einen Moment die Augen. »Aber vielleicht möchte ich es nur nicht glauben. Mein Mann war Richter. Er hätte nie jemanden verurteilt, von dessen Schuld er nicht felsenfest überzeugt gewesen wäre. Besonders in den Fällen, in denen es kein Geständnis gab, hat er die Beweise lieber einmal mehr auf die Goldwaage gelegt und sie hundertfünfzigprozentig gewürdigt. Nur wenn die Summe der Beweise zwingend auf die Schuld des Angeklagten wies und ihm keine Zweifel blieben, hat er sich zu einer Verurteilung entschlossen. Ganz genau so, wie es vorgeschrieben ist. Nun war es nicht mein Mann, der Fritz Lenhardt verurteilt hat, aber …« Sie legte das Kissen zur Seite und sah mich an. »Ich glaube an unser Rechtssystem, Frau Mahlo. Andererseits habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Ausnahmen gibt und Dinge geschehen, die ich einmal für völlig unmöglich gehalten habe. Aber um Ihre Frage direkt zu beantworten: Ich kann nicht beurteilen, ob dieser Mann schuldig oder Opfer eines Justizirrtums war. Eine Zeit lang war ich überzeugt, er müsse unschuldig gewesen sein, denn eine so hinreißende und sensible Person wie Theresa könne sich nicht derart in einem Menschen getäuscht haben.«
    Sie stand auf und kippte das Fenster. Geräusche von Straßenverkehr, spielenden Kindern und Hundegebell erfüllten augenblicklich den Raum und ließen das Ticken der Uhr in den Hintergrund treten.
    »Theresa hat inständig gehofft, dass Sie ihrer Bitte folgen würden.«
    »Ich bezweifle nur, dass sie sich dabei in meine Lage versetzt hat. Sollte es sich nämlich bei der Verurteilung von Fritz Lenhardt tatsächlich um einen Justizirrtum gehandelt haben, was ich mir genau wie Sie nur schwer vorstellen kann, könnte die ganze Angelegenheit gefährlich werden.«
    »Aber doch nur, wenn einer der fünf möglichen Erben der Mörder wäre.«
    »Davon ist sie ja ganz offensichtlich ausgegangen.«
    »Theresa sagte, Sie seien eine sehr zielstrebige und hartnäckige Person.«
    »Zielstrebig und hartnäckig waren in diesem Fall sicher schon einige vor mir. Deshalb frage ich mich, ob ich überhaupt etwas herausfinden könnte, was bisher noch nicht ans Licht gekommen ist.«
    Marianne Moser wollte etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders. Aus der Tasche ihres Kleides zog sie einen Schlüssel. »Sie werden es verstehen, wenn Sie in ihrer Wohnung waren.«

3
Seit etwas mehr als fünf Jahren war es selbstverständlicher Teil meiner Arbeit, die Wohnungen von Toten zu betreten. Und dabei hatte ich einmal ganz andere Pläne gehabt. Nach Banklehre und Jurastudium hatte ich als Anwältin für Wirtschaftsrecht arbeiten wollen. Bens Verschwinden hatte alles verändert. Anfangs hatte ich noch vorgehabt, mein Studium irgendwann fortzusetzen. Die Regelung von Nachlässen hatte ich als vorübergehenden Broterwerb gesehen. Doch dann hatte es mich gepackt, nicht von einem Tag auf den anderen, aber schleichend. Seitdem hatte ich unzählige Türen von Verstorbenen geöffnet. Und nie war ich mir dabei als Eindringling vorgekommen. Es war so, wie ich es Funda an diesem Morgen beschrieben hatte: Ich fühlte mich als Anwältin der Toten. Und ich versuchte in jedem Fall, der mir anvertraut wurde, mein Bestes zu geben – egal, wie die Menschen, um deren Nachlässe es ging, einmal gelebt hatten, in geordneten oder verwahrlosten Verhältnissen.
    Hinter der Tür, die ich jetzt aufschloss, erwartete mich ein Fall, der in keines der bisherigen Raster passte. Ich blieb im Flur stehen und schärfte all meine Sinne, wie ich es beim Betreten eines neuen Objektes immer tat. Anders als üblicherweise, schlug mir hier keine abgestandene Luft entgegen. Vermutlich kam Marianne Moser

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