Das verstummen der Kraehe
meines Bruders, und er lacht wie er. Ben hat auch immer den Mund weit aufgerissen und alle Zähne gezeigt.«
»Könnte es dennoch sein, dass sie recht hat und du dir die Ähnlichkeit nur wünschst?«
»Dann wäre mir nicht ausgerechnet er in der Gruppe der Jungen aufgefallen.«
»Also gut«, sagte Henrike, als hätte ich sie damit überzeugt.
»Das ist doch kein Zufall!«
Rena Velte tat so, als habe sie beim Hereinkommen meine letzten Worte nicht gehört. »Die Spaghetti sind gleich fertig. Die Jungs müssen etwas essen.« Mit einer Gabel holte sie eine Nudel aus dem Topf und probierte sie.
»Ist mein Bruder der biologische Vater Ihres Sohnes, Frau Velte?«, fragte ich unumwunden.
Ihre Hand schoss zum Hals, ihr Kopf verschwand fast zwischen den Schultern. Kraftlos lehnte sie sich gegen einen der Küchenschränke. Durch die geschlossenen Lider liefen Tränen über ihre Wangen. »Wie soll ich das denn wissen?« Sie schluckte, öffnete die Augen und schien Mühe zu haben, ihren Blick auf uns zu richten. »Beate hat damals einen passenden Spender ausgesucht.« Sie riss ein Blatt Küchenrolle ab und wischte sich damit übers Gesicht.
»Frau Velte«, setzte Henrike an, »hat Ben Mahlo Sie erpresst?«
War sie jetzt übergeschnappt? Ich sog scharf die Luft ein und konnte nur mit Mühe einen Protestlaut unterdrücken.
Henrike ignorierte mich und hielt ihren Blick fest auf Rena Velte gerichtet.
»Nein! Ich hätte doch seinen Namen nicht erwähnt, wenn das so gewesen wäre. Ich bin ihm nie begegnet, das müssen Sie mir glauben. Ich wusste über ihn lediglich das, was auf den Plakaten und in den Medien stand. Und wie hätte er mich denn überhaupt erpressen sollen? Selbst wenn er tatsächlich der Spender gewesen wäre, hätte Beate ihm ganz sicher nicht verraten, für wen sein Samen bestimmt war. Beate ist meine Freundin. Sie verschweigt mir doch nicht den Spender, um meinen Namen dann an ihn weiterzugeben. Allein die Vorstellung ist absurd.«
Ich schluckte meinen Groll auf Henrike hinunter und folgte dem Gedanken, der mir gerade durch den Kopf geschossen war. »Hat Beate Angermeier Sie nach unserem ersten Treffen am vergangenen Freitag eigentlich noch mal auf diesen Satz über Ben Mahlo angesprochen?«
»Nein, das hat sie nicht. Wieso …?«
»Ich bin wieder da«, ertönte in diesem Augenblick Tilman Veltes Stimme aus der Eingangshalle.
Erschreckt sah Rena Velte zwischen uns hin und her und hielt einen Zeigefinger vor ihren Mund, bevor sie ihrem Mann zurief, sie sei in der Küche. Schnell wischte sie sich noch einmal mit Küchenkrepp über Augen und Wangen. »Wir haben Besuch.«
Kurz darauf erschien Tilman Velte in grauem Polohemd und dunkelblauer Designerjeans in der Tür und blickte in die Runde. Sein blondes Haar war leicht zerzaust. Er begrüßte uns wie alte Bekannte. »Über mangelndes Engagement können sich Ihre Auftraggeber wirklich nicht beschweren«, meinte er mit einem Augenzwinkern. »Nur schade, dass die Toten keine Fleißkärtchen mehr verteilen können.«
»Aber das Nachlassgericht«, konterte ich. »Ich werde dort bei Gelegenheit vorschlagen, ein solches Belohnungssystem einzuführen.«
»Sind Sie in Theresas Sache weitergekommen?«
»Es geht voran. In kleinen Schritten.« Ich vermied es, Rena Velte anzusehen.
»Und gibt es schon einen eingrenzbaren Zeithorizont, wann wir mit dem Erbe rechnen können?« Er breitete die Hände aus und machte ein Gesicht wie ein Junge, der etwas verbrochen hatte und all seinen Charme zum Einsatz brachte. »Sie müssen meine Ungeduld verstehen. Es fällt mir schwer, Geld einfach so vor sich hin dümpeln zu lassen. Und da Sie mich Ihnen nicht bei der Anlage helfen lassen …«
»Wenn ich Hilfe brauche, melde ich mich.«
Er warf seiner Frau einen Blick zu, dem diese jedoch auswich und stattdessen die Spaghetti in ein Sieb goss. »Was hat Sie denn heute eigentlich zu uns geführt?«
»Es ging noch einmal um diesen Satz«, kam Rena Velte uns mit einer Antwort zuvor.
Tilman Velte sah von ihr zu Henrike und schließlich zu mir. »Ich dachte, das wäre geklärt.«
»Wir hatten nur noch einmal in aller Ruhe und allein mit Ihrer Frau sprechen wollen, um sicherzugehen, dass sie sich nicht irgendeinem Druck ausgesetzt fühlte.«
»Da kennen Sie meine Frau aber schlecht.« Er ging zu ihr, legte ihr für einen Moment den Arm um die Schultern und drückte sie liebevoll an sich. »Meine Frau hat ihren eigenen Kopf, gegen den habe selbst ich keine Chance.« Er setzte
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