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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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hätte er Ben über den Weg laufen können? Nein, antwortete sie mit Bestimmtheit. Die Samenspender würden einen anderen Eingang benutzen und kämen mit Patienten und Besuchern überhaupt nicht in Kontakt. Ich bedankte mich und legte auf. Die Spur führte in eine Sackgasse.
    Gab es außer einer möglichen Homosexualität und der Samenspende noch andere Ansatzpunkte für eine Erpressung? Was, wenn Konstantin Lischka einfach mal im Nebel gestochert und zufällig ins Schwarze getroffen hatte? Um einen seiner Freunde zu erpressen, hätte er nicht unbedingt wissen müssen, was denjenigen mit Ben verband. Die Tatsache, dass mein Bruder spurlos verschwunden war, hätte ausreichen können, um seinem Gegenüber auf dem Flur einen Schrecken einzujagen. Und zwar einen so gehörigen Schrecken, dass Konstantin Lischka dafür hatte mit dem Leben bezahlen müssen.
    War Fritz Lenhardt dieses Gegenüber auf dem Flur gewesen? Hatte er seine homosexuellen Neigungen mit Ben ausgelebt? Und wenn ja – hätte ihn das zu einem Mord an einem Mitwisser und Erpresser bewegen können? Oder war es die Häufung dessen gewesen, was sein Freund Konstantin ihm zugemutet hatte? Hatte der Journalist das Fass zum Überlaufen gebracht? Fritz Lenhardt konnte diese Fragen nicht mehr beantworten.
    Angenommen, Theresa Lenhardt hatte recht, und er war tatsächlich nicht der Mörder. In dem Fall hatte ein anderer die Spuren so gelegt, dass sie zwingend auf den Arzt deuteten. Es dürfte einfach gewesen sein, während der Geburtstagsfeier an die spätere Tatwaffe und ein Haar von Fritz Lenhardt zu kommen und so von sich selbst abzulenken.
    Nadja Lischka, schoss es mir durch den Kopf. Ihr Mann hatte sie finanziell in den Ruin getrieben und notorisch betrogen. Vielleicht hatte sie ihn umgebracht und damit aus dem gängigsten Motiv heraus gehandelt, nämlich Eifersucht. Dann hätte die Ermordung ihres Mannes nichts mit dessen Erpressungsversuch auf dem Flur zu tun gehabt. Auch das war eine Möglichkeit.
    Ein lautes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Meine Mutter stand vor der Wohnungstür. Sie hatte Rosa mitgebracht, die die Regentropfen zum Glück schon vor der Tür aus ihrem Fell schüttelte und erst dann an mir vorbei zu ihrem Futternapf stürmte.
    »Ich bin ein Stück mit ihr gelaufen«, sagte meine Mutter in einem Tonfall, der ihre traurige Miene unterstrich. Sie trug ihren anthrazitfarbenen Jogginganzug und hatte die Haare mit einem dunkel gemusterten Tuch zusammengebunden. »Du musst sie nur noch füttern.«
    »Magst du einen Moment hereinkommen?«
    »Aber wirklich nur kurz, ich bin ziemlich durchnässt vom Regen.«
    Ich lotste sie in die Küche. »Wie geht es dir?«
    »Nicht so gut. Ich komme einfach nicht über die Bonsais hinweg.« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Wer tut denn so etwas, Kris?«
    »Ich weiß es nicht, Mama.«
    »Ich habe doch niemandem etwas getan.«
    »Selbst wenn, würde das nichts davon rechtfertigen.« Das Telefon klingelte, aber ich ignorierte es und strich meiner Mutter über den Rücken.
    »Ich habe eben im Vorbeigehen Bens Kinderbild auf deinem Tisch gesehen. Ich weiß noch genau, wann es entstanden ist. Er muss sieben oder acht gewesen sein …«
    »Sieben.«
    »Warum hast du ausgerechnet dieses Bild herausgezogen?« Manchmal hatte sie unglaubliche Sensoren.
    »Weil es mir gefällt.«
    »Wenn es etwas Neues über Ben gäbe, würdest du es doch sagen, oder?«
    »Lass dich nicht von der Kerze und den Bonsais irritieren, Mama.«
    »Es ist schon seltsam, dass das alles innerhalb weniger Tage passiert ist.« Sie starrte ins Leere. »Ich hoffe, es passiert nicht noch mehr. Du passt doch gut auf dich auf, Kris, oder?«
    »Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
    »Um Ben habe ich mir immer Sorgen gemacht«, sagte sie leise. »Manchmal denke ich, tief in mir habe ich von Anfang an geahnt, dass ihm eines Tages etwas zustoßen würde.«
    Ich setzte mich ihr gegenüber und nahm ihre Hand.
    »Letzte Nacht habe ich geträumt, ich würde an seinem Grab stehen«, flüsterte sie. »Der Traum hatte überhaupt nichts Erschreckendes, im Gegenteil. Ich stand da und spürte eine tiefe innere Ruhe. Als ich aufwachte, war ich zuerst auf eine seltsame Weise froh, aber dann habe ich mich verabscheut.« Sie hielt den Kopf gesenkt.
    »Schau mich an, Mama!« Ich wartete, bis sie den Kopf hob. »Keiner von uns wird seine innere Ruhe wiederfinden, bevor Ben nicht gefunden ist.«
    »Und wenn das nie geschieht?«
    Ich holte tief Luft

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