Das verstummen der Kraehe
nicht bedroht, ich habe lediglich …«
»Unterbrechen Sie mich nicht noch einmal!« Schnaubend lief er vor mir auf und ab.
Ihn nicht weiter zu reizen, mich ihm aber auch nicht unterwürfig auszuliefern, würde eine Gratwanderung bedeuten. »Ich werde Sie nicht mehr unterbrechen. Aber ich würde gerne wissen, warum Sie glauben, ich hätte Ihre Familie bedroht. Ich habe lediglich mit Ihrer Frau über den Geburtstagsabend Ihres Freundes Fritz gesprochen.« Ich konzentrierte mich auf jede seiner Regungen und gab mir Mühe, meine Stimme selbstsicher und ruhig klingen zu lassen.
Er verzog den Mund zu einem vordergründig ironischen Lächeln, das ihm schnell entglitt. »Ich habe draußen im Flur gestanden und zugehört, wie Sie meine Frau malträtiert haben.«
»Warum sind Sie ihr nicht zu Hilfe gekommen?« Die Frage war mir herausgerutscht, und sie war ganz sicher alles andere als klug. Sie würde ihn nur noch mehr provozieren.
Aber er schien sie gar nicht gehört zu haben. Sein Blick wanderte durch den Raum, als suche er etwas.
»Was suchen Sie?«, fragte ich.
»Material, das gut brennt«, antwortete er kalt.
»Sie wollen …?«
»Das Haus anzünden, ja. Und Sie gleich mit. Dann können Sie Ihrem feinen Bruder Gesellschaft leisten.«
Sekundenlang war es so, als presse mir etwas den Brustkorb zusammen und hindere mich daran zu atmen. Ich kämpfte dagegen an und holte tief Luft. »Mein Bruder hieß Ben«, brachte ich leise hervor.
»Und er war eine Schwuchtel.« Tilman Velte lachte hart und starrte mich an. »Wissen Sie, wie es ist, wenn Sie erfahren, dass der eigene Sohn von einer Schwuchtel gezeugt wurde? Können Sie mir diese Frage beantworten, Frau Mahlo? Sie wissen doch sonst alles so genau. Ihr Bruder hat es nicht anders verdient. Er war ein Betrüger!«
»Wo ist er?«
»Im Kraillinger Forst, metertief im Waldboden vergraben.«
Ich spürte ein Stechen in meiner Brust. »Weil er homosexuell war?«, stieß ich fassungslos hervor, während mir Tränen übers Gesicht liefen. Ich wagte nicht, den Blick von ihm zu wenden. Es mochte mir gelingen, ihn noch eine Weile zum Reden zu animieren, aber es würde mir nicht gelingen, ihn von seinem Plan abzubringen. Für ihn war ich bereits tot. Ich konnte nur Zeit schinden. Den Gedanken, dass auch das nichts ändern würde, verdrängte ich.
»Sie klingen geradeso, als sei das eine Lappalie. Ihr Bruder war ein …«
»Ja, er war homosexuell.«
Wieder schlug er mir mit voller Wucht ins Gesicht. »Ich habe Sie gewarnt. Unterbrechen Sie mich nicht!« Er stieß Luft durch die Nase. »Er war eine schwule Sau.«
Wenn er Bens Mörder war, hatte er schon vor Jahren von der Samenspende erfahren. »Wer hat Ihnen das mit der Samenspende verraten? Ihre Frau war es ganz offensichtlich nicht.« Mir war schwindelig vor Angst.
»Sie glauben wohl, wenn Sie Zeit schinden, kommen Sie hier raus?« Er schüttelte den Kopf. »Sie kennen mich nicht!«
»Mein Bruder ist seit sechs Jahren tot, und weder meine Eltern noch ich wissen, was mit ihm geschehen ist.« Ich erinnerte mich daran, dass Tilman Velte mich bei unserem ersten Treffen in meinem Büro gefragt hatte, ob mein Bruder je wieder aufgetaucht sei. Welch ein Hohn. »Von wem haben Sie erfahren, dass …?«
»Von meiner Frau und ihrer ach so lauteren Freundin Beate! Ich war genau wie gestern früher nach Hause gekommen. Und da saßen die beiden und haben sich gegenseitig geschworen, nie wieder ein Wort über die Samenspende zu verlieren, die ganze Sache einfach zu vergessen.« Er schnaubte. »Vergessen! Als wäre das überhaupt möglich! Beate hat gesagt, sie würde gleich am nächsten Tag die entsprechenden Daten löschen. Als meine Frau das hörte, ist sie fast durchgedreht. Sie war davon ausgegangen, ihre Freundin hätte alles heimlich gemacht. Aber nichts da. Ordentlich, wie sie nun mal ist, hatte sie alles fein säuberlich in der Datenbank abgelegt!«
»Haben Sie sich daraufhin an Fritz Lenhardt gewandt?«
»An Fritz? Der hätte mir nichts gesagt!« Aus seinem Mund klang es, als sei Verschwiegenheit eine Charakterschwäche. »Ich habe mich an Beates Mann gewandt. Christoph war mir noch etwas schuldig.«
In meinem Kopf fügten sich zwei Puzzleteile zusammen. »Also hat er seine Patientin damals tatsächlich sexuell genötigt, und Sie haben ihm ein falsches Alibi gegeben?«
»Eine Hand wäscht die andere, so macht man das doch unter Freunden, oder nicht?«
Mein Magen krampfte sich zusammen. »Und Christoph Angermeier hat
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