Das verstummen der Kraehe
erfassen, was ich noch nicht aus den Zeitungen wusste. Ich war gerade dabei, etwas über den Vorabend des Mordes zu lesen, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Ich schrak zusammen und zögerte einen Moment, bevor ich das Mobilteil in die Hand nahm und die Taste mit dem grünen Hörer drückte.
»Bei Lenhardt«, meldete ich mich.
Am anderen Ende der Leitung war nur ein Atmen zu hören.
»Hallo?«, hakte ich nach und wartete.
Das Atmen wurde lauter. Ich sah aufs Display, aber es zeigte keine Nummer an.
»Sie sind wohl falsch verbunden«, sagte ich und unterbrach die Verbindung.
Dann widmete ich mich wieder Theresa Lenhardts Ausführungen. Sie schrieb: Am Abend bevor der Mord geschah, hatte Fritz unsere sechs engsten Freunde zu einem festlichen Essen anlässlich seines vierzigsten Geburtstags eingeladen. Sie waren alle gekommen, um mit uns hineinzufeiern: Beate und Christoph Angermeier, Rena und Tilman Velte, Nadja und Konstantin Lischka. Kennen Sie diese Abende, Frau Mahlo, an denen der Funke gleich überspringt? An denen es so ausgelassen und fröhlich zugeht, dass Sie sich wünschen, das Fest würde nicht enden? So etwas lässt sich nicht planen. Aber wenn es gelingt, wird solch ein Abend unvergesslich.
Er wäre es geworden, wäre er nicht von den grausamen Ereignissen, die auf ihn folgten, überschattet worden. In den frühen Morgenstunden – es waren längst alle zu Hause – wurde Konstantin im Hausflur vor seiner Wohnung mit mehreren Messerstichen umgebracht.
Wir waren erschüttert, als wir davon erfuhren, und fanden es ganz selbstverständlich, die Kripo mit allen Informationen zu unterstützen, die wir geben konnten. Zwei Beamte kamen am nächsten Vormittag bei uns vorbei, um uns zu befragen. Sie zeigten uns unter anderem das Foto eines Klappmessers. Es handelte sich um eines der Marke Laguiole. Sie fragten, ob wir dieses Messer schon einmal gesehen hätten. Dieses sicher nicht, meinte Fritz, aber er besäße selbst so eines, ich hätte es ihm vor Jahren geschenkt. Als die Beamten es sehen wollten, durchsuchte mein Mann die Küchenschubladen. Er war überzeugt, er habe es dort zuletzt gesehen, fand es jedoch nicht.
Am Tag darauf wurde Fritz ins Präsidium zu einer weiteren Befragung gebeten. Und dann überschlugen sich die Ereignisse. Zwei Tage später war er bereits Beschuldigter und saß in Untersuchungshaft – für ein Verbrechen, das er nie begangen hat. Es war eine unbeschreibliche Qual für ihn. Für uns beide.
Kripo und Staatsanwaltschaft hatten sich ziemlich schnell auf ihn eingeschossen. Ihrer Auffassung nach hatte Fritz als Einziger ein starkes Mordmotiv, weil er durch Konstantin einen großen finanziellen Verlust erlitten hatte. Als hätte das für meinen Mann ausgereicht, um einen Menschen zu töten, noch dazu einen Freund.
Vielleicht haben Sie über dieses angebliche Mordmotiv in der Zeitung gelesen. Es war eine vertrackte Geschichte. Ich werde versuchen, sie Ihnen zu erklären. Fritz hatte von Konstantin für eins Komma acht Millionen Euro dessen Elternhaus kaufen wollen. Die Kaufvertragsurkunde war schon unterzeichnet, und Fritz hatte im guten Glauben ohne weitere Absicherung den Kaufpreis an Konstantin bezahlt. Aber er wusste nicht, dass dieser aus einer früheren Bürgschaft hoch verschuldet war und von Gläubigern gegen ihn vollstreckt wurde. Weil die beiden auf die Auflassungsvormerkung verzichtet haben, die den Käufer vor dem Zugriff eines Dritten schützt, konnte von den Gläubigern auch in Konstantins Elternhaus vollstreckt werden. Trotz des vorausgegangenen dringenden Rates des Notars, die übliche Auflassungsvormerkung im Grundbuch eintragen zu lassen, haben die beiden einhellig die Köpfe geschüttelt und gesagt, so etwas bräuchten sie nicht. Sie seien langjährige Freunde und könnten guten Gewissens darauf verzichten.
Konstantin wird gewusst haben, in welche Falle er Fritz damit lockte. Warum sonst hätte er so kurz nach dem Tod seiner Eltern auf einen schnellen Verkauf des Hauses drängen sollen? Uns gegenüber hatte er behauptet, dringend Geld zu brauchen. Was letztlich auch stimmte. Ihm wird jedoch klar gewesen sein, dass er das Haus durch den Verkauf ohne Auflassungsvormerkung dem Zugriff der Gläubiger nicht entziehen würde. Und er wird darauf spekuliert haben, mit diesem Schachzug sowohl das Haus als auch den Kaufpreis den Gläubigern auf dem Tablett darzubieten und damit seine Schulden, die sich immer noch auf fast vier Millionen Euro beliefen,
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