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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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zwischen zwei Bissen.
    »Neulich hat mir jemand erzählt, sie würden hier schon gar keine Einfamilienhäuser mehr genehmigen. Ich warte nur darauf, dass sie uns eines Tages enteignen, weil wir so viel Platz haben.«
    »Und was macht dir wirklich Sorgen, Papa?«
    »Gar nichts«, winkte er ab. »Simon hat mir von deinem neuen Auftrag erzählt. Und dass du vorhast, dir endlich ein neues Auto zu kaufen. Wird auch Zeit, Kris. Die alte Gurke wird es nicht mehr lange machen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie es überhaupt noch einmal durch den TÜV schafft.«
    Ich betrachtete meinen Vater. Er war grau geworden in den letzten Jahren, und seine Tränensäcke und tiefen Falten ließen ihn älter aussehen als zweiundsechzig. Er hatte ein leicht asymmetrisches Gesicht mit grünen Augen, gebogener Nase und Grübchen im Kinn. Es war ein sorgenvolles Gesicht. Wie so oft trug er ein blütenweißes Oberhemd zu seinen Jeans. Er bügelte seine Hemden selbst und war ein Meister darin – wie in so vielem, in das er sich hineinkniete.
    »Ich weiß noch nicht, ob ich diese Testamentsvollstreckung überhaupt annehme. Ich muss erst ein paar Details klären.«
    »Gib es zu, du versuchst nur, dich um ein neues Auto zu drücken.«
    »Wo ist eigentlich Rosa?«, wechselte ich das Thema. »Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen.«
    »Simon hat sie mitgenommen. Er wollte eine Runde durch den Kraillinger Forst mit ihr drehen. Apropos Runde drehen: Findest du nicht, dass deine Mutter zu viel joggt? Heute Morgen war sie über eine Stunde unterwegs. Hat sie ihren freien Tag?«
    Meine Mutter arbeitete ein paar Straßen weiter an der Rezeption eines kleinen Hotels, teilte sich ihre Dienste mit einer weiteren Angestellten und hatte an diesem Tag tatsächlich frei. »Frag sie selbst«, antwortete ich lakonisch.
    Er tat, als habe er meine Antwort gar nicht gehört. »In unserem Alter ist das Joggen ungesund, Kris, die Gelenke machen das nicht mehr mit.«
    Ich brach mir ein Stück von meiner Breze ab, schob es in den Mund und überlegte, worauf diese Unterhaltung hinauslief.
    »Glaubst du, es gibt einen anderen Mann?«
    »Und wenn? Ihr lebt seit Jahren getrennt.«
    »Na ja, ich habe schließlich auch keine Neue. Wie auch? Die Damen, denen ich das Internet erkläre, gehen in der Regel auf die siebzig zu oder haben sie sogar schon überschritten. Ich wette, dass die Männer, die bei Evelyn im Hotel ein- und ausgehen, deutlich jünger sind.« Er machte keinen Hehl daraus, wie unglücklich er mit dieser Situation war.
    Einmal mehr wurde mir bewusst, wie sehr Bens Verschwinden in unser aller Leben eingegriffen und es von einem Tag auf den anderen grundlegend verändert hatte. Meine Eltern hatten ihre Buchhandlung in Frankenberg aufgeben und sich neu orientieren müssen. Meiner Mutter war das weit besser gelungen als meinem Vater, der sich erst einmal für einen Umweg über den Alkohol entschieden hatte. Die Trennung und der Umzug in die erste Etage hatten dann wie ein heilsamer Schock gewirkt und ihn das Trinken auf die Abende beschränken lassen. Tagsüber hatte er sich fortgebildet, bis er Computer und Internet so weit durchdrungen hatte, dass er die Materie anderen erklären konnte. Inzwischen hielt er sich mit Unterricht für Senioren an der Volkshochschule über Wasser.
    »Hättest du gerne eine Neue?«, fragte ich ihn.
    »Ich hätte deine Mutter gerne zurück.«
    »Dann sag ihr das.«
    »Sie will nicht.«
    »Hat sie dir das auf einen dieser gelben Klebezettel geschrieben?«
    »Mach dich nicht lustig darüber!«
    »Papa, Hand aufs Herz: Wie viele Gläser Himbeermarmelade hortest du in deinem Vorratsschrank?«
    »Fragt wer? Die junge Dame, die vor zwei Jahren nicht mehr wusste, wohin mit all den Weinflaschen von Vini Jacobi ?«
    Bereits um kurz vor drei hatte die Mehrheit von Theresa Lenhardts potenziellen Erben an meiner Tür geklingelt. Als die Glocke von St. Georg dreimal schlug, saßen sie vollzählig um meinen Besprechungstisch. Nach dem Plausch mit meinem Vater, der natürlich länger als fünf Minuten gedauert hatte, war mir gerade noch genug Zeit geblieben, um die wichtigsten Details zu meinen Besuchern zu recherchieren.
    Mir gegenüber hatte Beate Angermeier Platz genommen und ihre Gehhilfen neben sich auf den Boden gelegt. »Kreuzbandriss«, hatte sie knapp kommentiert. Die fünfundvierzigjährige Humangenetikerin leitete gemeinsam mit ihrem Mann Christoph in München das Kinderwunschinstitut, dem auch Fritz Lenhardt angehört hatte. Sie

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