Das verstummen der Kraehe
Unglück, das über Theresa hereingebrochen ist, war zu viel für einen Menschen allein. Sie ist unter dieser Last zusammengebrochen und schließlich daran zugrunde gegangen. Und sie hat sich verhalten wie jeder Ertrinkende, sie hat ausschließlich an sich selbst, an ihr eigenes Überleben gedacht und dabei riskiert, ihre Retter mit in die Tiefe zu ziehen. Das ist nachvollziehbar und sogar entschuldbar. Jeder von uns hätte in einer vergleichbaren Lage vermutlich genauso gehandelt. Um aber auf den Punkt zu kommen: Es handelte sich um keinen Justizirrtum, als der Richter Fritz schuldig gesprochen hat. Es ist eine gerichtlich festgestellte Tatsache, dass unser Freund Fritz unseren Freund Konstantin umgebracht hat. Allerdings bezweifeln wir ausnahmslos, dass Fritz es vorsätzlich getan haben soll. Unserer Meinung nach war es kein Mord, sondern eine Tötung im Affekt. Aber für Fritz hätte das nichts geändert. Er hätte sich so oder so das Leben genommen. Theresa war der festen Überzeugung, er hätte nicht mehr leben wollen, weil er die Haft nicht ertrug. So hat er es auch in seinem Abschiedsbrief formuliert. Aber vielleicht war ihm auch die Schuld, die er auf sich geladen hatte, zu schwer geworden. Wer kann das schon so genau sagen? Sicher ist nur, dass derjenige, der Konstantin getötet hat, dafür auch belangt wurde. Davon war das Gericht überzeugt, und davon sind wir überzeugt. Und ich nehme mal an, dass Sie sich unserer Überzeugung anschließen werden, Frau Mahlo. Wir wollen natürlich nicht vorgreifen, aber wir wollen Ihnen auch unnötige Arbeit ersparen. Selbstverständlich können Sie mit jedem von uns ausführliche Einzelgespräche führen. Aber mal ehrlich: Was wollen Sie herausfinden, was der Kripo und dem von Theresa beauftragten Detektiv verborgen geblieben sein könnte?«
Dieselbe Frage hatte ich mir auch schon gestellt. »Da gebe ich Ihnen recht. Trotzdem würde ich gerne jeden Einzelnen zu Wort kommen lassen. Möchten Sie etwas dazu sagen, Frau Doktor Angermeier?«
Sie warf ihrem Mann einen Seitenblick zu, aber er tat so, als bemerke er das nicht. »Mein Mann hat eigentlich schon alles gesagt. Ich pflichte ihm in jedem einzelnen Punkt voll und ganz bei.« Im Gegensatz zu Nadja Lischka und Rena Velte hatte sie eine herbe Ausstrahlung, was auch in ihrem Tonfall zum Ausdruck kam.
»Was halten Sie von dem Testament?«, fragte ich.
Sie blies Luft durch die Nase. »Offen gesagt, müssen wir Theresa dankbar sein, dass sie uns so großzügig bedacht hat, aber ihr Testament ist auch dazu angetan, die niedersten Instinkte zu wecken. Schließlich könnte jeder von uns alles Mögliche über den anderen behaupten, ohne dass es den Tatsachen entspräche. Und wie sollten Sie dann zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden? Gottlob sind wir uns alle freundschaftlich verbunden.« Es klang wie eine Beschwörungsformel.
»Wie stehen Sie zu dem Testament, Frau Lischka?«, wandte ich mich an die Witwe des Mordopfers.
Nadja Lischka nahm ihr Wasserglas in beide Hände, drehte es und sah mich leicht genervt an. »Ich meine, dass das alles hier eine einzige Zeitverschwendung ist, und genau das habe ich Ihnen auch gestern bereits gesagt, aber …«
»Nadja, ich bitte dich«, unterbrach Christoph Angermeier sie. »Wir hatten uns doch auf einen zivilisierten Ton geeinigt.«
»Du hattest dich geeinigt, mein Lieber. Und ich glaube nicht, dass Frau Mahlo gleich tot umfällt, wenn hier mal Klartext gesprochen wird. Nicht jede, die zart aussieht, ist es auch. Das solltest du als Frauenversteher eigentlich wissen. Was ich auf meine unzivilisierte Weise sagen wollte …« Dabei warf sie Christoph Angermeier einen unmissverständlichen Blick zu, »… ist, dass ich wohl das größte Interesse an der Frage haben müsste, wer meinen Mann umgebracht hat. Und für mich ist diese Frage im Prozess beantwortet worden. Deshalb sollten auch Sie, Frau Mahlo, den Richterspruch nicht in Zweifel ziehen, sondern das Erbe unter uns aufteilen und Ihren Lohn für eine erfolgreiche Testamentsvollstreckung einstreichen.« Sie rieb sich die Hände, als wasche sie sie.
Ich fragte mich gerade, ob in Unschuld oder in dem Bewusstsein, sie beschmutzt zu haben, als ich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Rena Velte, die Nadja Lischka gegenübersaß, schüttelte missbilligend den Kopf. Als sie meinen Blick bemerkte, hielt sie abrupt inne.
»Was wollt ihr?«, brauste Nadja Lischka auf. »Ich sage nur, was ihr alle denkt. Tut doch nicht so, als sei
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