Das verstummen der Kraehe
Jugendliche. Ich formte eine Faust um das Kondom und versenkte es mit einer nach allen Seiten hin gut sichtbaren Geste im nächsten Mülleimer, bevor ich wieder in meinen Wagen stieg und nach Hause fuhr.
Erst als ich in die Hofeinfahrt bog, fiel mir auf, dass ich Funda völlig vergessen hatte. Es war halb neun. Um acht Uhr musste sie vor der verschlossenen Bürotür gestanden haben. Mist! Als ich die weit geöffneten Fenster im Erdgeschoss sah, atmete ich auf.
»Entschuldige«, begrüßte ich sie, als ich hineinstürmte und sie an ihrem PC sitzen sah. »Ich habe mich wohl noch nicht daran gewöhnt, wieder eine Mitarbeiterin zu haben. Wer hat dich reingelassen?«
»Dein Vater. Ich soll dir von ihm ausrichten, dass du mit deinem Auto zum TÜV musst. Falls du keine Zeit hättest, könne er das übernehmen. Dann habe ich noch deinen Simon kennengelernt. Von ihm soll ich dir ausrichten, er hätte heute Abend Zeit und sei zu allen Schandtaten bereit.«
»Hat er das so gesagt?«
»In etwa. Außerdem sitzt da draußen eine Krähe, die herumkrakeelt.«
»Das ist Alfred, er wartet auf seine Walnuss.«
»Kein Scherz?«
Lachend schüttelte ich den Kopf. »Ich hatte mal Nüsse zum Trocknen auf dem Gartentisch liegen, die hat er alle verputzt. Von da an habe ich ihm jeden Tag eine hingelegt. Mit der Zeit ist er zahm geworden.«
»Würde er sich von mir auch füttern lassen?«
»Darauf würde ich wetten!«
»Da ist noch etwas. Irgendein Witzbold hat deinen Vorgarten mit Kondomen übersät.«
Ich machte auf dem Absatz kehrt, durchquerte die Küche und sah mich im Garten um. Alfred flog von der Hecke direkt auf den Gartentisch und wartete vor der Dose mit den Nüssen. Ich nahm eine heraus, legte sie vor ihn hin und suchte mit Blicken den Garten ab, als Funda hinter mir auftauchte.
»Ich habe sie alle aufgesammelt und auf die Arbeitsplatte gelegt. Neunzehn Stück sind es.«
Ich ging zurück in die Küche. Tatsächlich, sie sahen genauso aus wie das Exemplar, das ich kurz zuvor entsorgt hatte. Ich war also doch kein zufälliges Opfer eines Dummejungenstreichs gewesen.
»Nummer zwanzig klemmte unter meiner Windschutzscheibe.«
»Wenigstens sind es keine gebrauchten.« Als sie meinen entsetzten Blick sah, sammelte sie die Kondome ein und warf sie in den Abfalleimer. »Erledigt.«
Ich lehnte mich mit der Hüfte gegen den Küchentisch, kreuzte die Arme vor der Brust und überlegte, welche Botschaft wohl dahinterstecken mochte.
»Da wird sich einer für unglaublich witzig halten«, meinte Funda. »Solche Idioten gibt es überall.«
Aber wer das getan hatte, war kein Witzbold. Schließlich hatte er oder sie die Dinger nicht nur in meinen Garten geworfen, sondern mich bis in die Marsopstraße zum Haus von Marianne Moser verfolgt. Und das empfand ich als das eigentlich Gruselige. Dazu noch die beiden Anrufe in Theresa Lenhardts Wohnung. Irgendjemand versuchte mich einzuschüchtern.
»Komm mit, Funda.« Ich lief voraus ins Büro, suchte die Unterlagen zur Testamentsvollstreckung heraus und übergab ihr die Adressliste der fünf potenziellen Erben. »Ruf bitte alle an, und lade sie für fünfzehn Uhr hierher ein. Sag ihnen, dass sie vollzählig erscheinen müssen, da das Treffen sonst sinnlos ist.«
»Kristina, heute ist Freitag. So kurzfristig wird niemand Zeit haben.«
»Glaub mir, die haben Zeit.«
Ich wollte gerade das Treffen mit den Erben vorbereiten, als es an der Bürotür klopfte. Mein Vater stand mit einer gefüllten Papiertüte und einer Flasche Multivitaminsaft im Flur.
»Hast du fünf Minuten, Kris? Ich habe Brezen mitgebracht.«
Diese Sache mit den fünf Minuten beherrschten meine Eltern beide gleichermaßen gut.
»Papa, können wir das auf später verschieben? Ich muss noch etwas vorbereiten.«
»Aber du hast doch heute bestimmt noch gar nichts gegessen. Fünf Minuten, dann bin ich wieder weg.« Er drängte sich an mir vorbei und ging schnurstracks durch die Küche auf die Terrasse, wo er sich am Tisch niederließ. »Bringst du noch Gläser mit?«
Kaum hatte ich mich zu ihm gesetzt, öffnete er die Tüte und legte eine Breze vor mich auf den Tisch. Von einer nahe gelegenen Baustelle ertönte ein Presslufthammergeräusch.
»Wo du hinschaust, Baustellen«, ereiferte er sich. »Überall stehen diese gelben Baukräne. Und was kommt dabei heraus? Immer nur hässliche Mehrfamilienklötze, da ist jeder Hühnerstall schöner. Niemand baut mehr etwas Gescheites.«
»Münchner Wohnraumknappheit«, sagte ich
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